Schlechte Versiegelung als Dauerzustand

Alte Bohrstellen werden weder von Unternehmen noch von der US-Regierung überprüft.
Das lecke Bohrloch der explodierten Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko könnte kein Einzelfall sein: In einem Bericht hat die Nachrichtenagentur AP davor gewarnt, dass vor der Küste der USA rund 27.000 stillgelegte Öl- und Gasbohrlöcher existieren, die seit Jahrzehnten weder überwacht noch kontrolliert werden.

Viele davon sind bereits so alt, dass die Versiegelung längst brüchig sein und Öl sowie Gas somit unbemerkt ins Meer gelangen könnte.

Erste Bohrlöcher vor 60 Jahren stillgelegt
Die ältesten Bohrlöcher wurden bereits in den späten 1940er Jahre verschlossen. Doch immer noch werden viele unter der Bezeichnung "vorübergehend stillgelegt" in den Regierungsunterlagen geführt, wie AP-Recherchen ergaben. Eine Einstufung, die laut AP besonderen Anlass zur Sorge gibt.

Wenn Ölkonzerne unrentable Ölquellen schließen, müssen sie innerhalb eines Jahres entscheiden, ob sie die Quellen wieder aktivieren oder sie gänzlich versiegeln. Doch diese Frist wird regelmäßig umgangen. Derzeit werden insgesamt 3.500 Bohrstellen als "vorübergehend" stillgelegt geführt - 1.000 davon seit mittlerweile über zehn Jahren, einige sogar seit den 1950er und 1960er Jahren.

"Deepwater" als warnendes Beispiel
Die "Deepwater Horizon" ist ein - wenn auch drastisches - Beispiel dafür, was geschehen kann, wenn Versiegelungsarbeiten nicht vorschriftsmäßig durchgeführt werden. Das Bohrloch unter der BP-Plattform war mit Zement nur behelfsmäßig abgedichtet worden.

Am 20. April kam es dann zu der verheerenden Explosion, die sich mittlerweile zur schwersten Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA ausgewachsen hat. Laut Regierungsunterlagen hat alleine BP 600 weitere stillgelegte Ölquellen im Golf von Mexiko.

Versiegelung kann brechen
Sowohl an Land als auch im Meer droht von den behelfsmäßig verschlossenen Bohrstellen über die Jahre wachsende Gefahr. "Es gibt wechselnde geologische Bedingungen, die die Druckverhältnisse in einem Bohrloch verändern können", erklärte Andy Radford, Experte am American Petroleum Institute. Dadurch könne - ähnlich wie in Vulkanen - der Druck so stark wachsen, so dass die Versiegelung aus Zement und Rohren zerstört werde, so der Experte.

Keine Überprüfungen
Ölfirmen versichern zwar, dass korrekt ausgeführte Versiegelungen für immer halten, doch derzeit werden alte Bohrstellen weder von Unternehmen noch von der Regierung überprüft. Dabei gibt es laut AP-Nachforschungen sogar von staatlicher Seite her Vermutungen, wonach Zehntausende Ölquellen nur unzureichend versiegelt sind.

Allein in Texas mussten 21.000 Bohrstellen nach Umweltverschmutzungen in den vergangenen Jahren neu versiegelt werden. Auch in den Gewässern vor der Küste Kaliforniens wurde seit den 80er Jahren eine große Anzahl an Bohrstellen neu verschlossen. Doch in tieferen Hoheitsgewässern scheint sich niemand für die alten Bohrstellen verantwortlich zu fühlen.

Kaum Strafen für Ölkonzerne
Die Aufsichtsbehörde Ocean Energy Management (vormals Minerals Management Service, MMS) ist angesichts zahnloser Gesetze und der großen Anzahl an "vorübergehend" stillgelegten Quellen völlig überfordert.

Zwischen 2003 und 2007 mussten nur sieben Firmen wegen unzureichender Versiegelung ihrer Bohrlöcher insgesamt 400.000 Dollar (317.000 Euro) Strafe zahlen. Ob und wie viele Bohrlöcher tatsächlich undicht sind, konnte die Behörde auf AP-Nachfrage nicht beantworten.

Immer wieder Warnungen
Dabei ist die Liste der mahnenden Stimmen lang: Bereits 1994 warnte der US-Rechnungshof (Government Accountability Office, GAO) vor einer Umweltkatastrophe durch undichte Tiefseebohrlöcher. Er forderte die Überprüfung der Bohrstellen, doch diese wurden nie durchgeführt. Ein 2006 veröffentlichter Bericht der US-Umweltschutzbehörde kritisierte die mangelhafte Durchführung von Bohrlochversiegelungen an Land. Über Jahre sollen Regelungen umgangen worden sein, die nun zu Lecks führen.

4.600 Bohrlöcher undicht?
Bereits 1989 schätzte ein GAO-Bericht, dass 17 Prozent aller Bohrstellen an Land unzureichend versiegelt sind. Umgelegt auf Tiefseebohrstellen würde das bedeuten, dass alleine im Golf von Mexiko 4.600 Bohrlöcher undicht sind. Ein 2001 vom MMS herausgegebener Bericht beschreibt eine Ölquelle vor Louisiana, wo fünf Jahre nach der Versiegelung wieder Öl austrat. Versuche, das Leck über Satellitenbilder zu finden, scheiterten bisher.

Probleme vertuscht
Einer der Autoren der MMS-Studie, John Amos, wirft der Regierung vor, ihm wichtige Informationen vorenthalten zu haben. "Sie (MMS, Anm.) weigerten sich, mir zu sagen, wie groß und fortgeschritten das Problem bereits ist", sagte Amos gegenüber AP. Amos ist heute Direktor von SkyTech, einer Organisation, die mittels Satellitenbilder Umweltkatastrophen aufspürt.

Eine Frage der Kosten
Die Verzögerungen bei den endgültigen Versiegelungen werden von Unternehmen oft mit den hohen Kosten begründet - eine Rechnung, die mitunter auch nicht aufgehen kann. Um die 10.500 derzeit aktiven Bohrlöcher und die 3.500 vorübergehend stillgelegten Stellen für immer zu verschließen, wären rund drei Milliarden Dollar notwendig - so viel wie BP bisher für die Bekämpfung der Ölpest zahlen musste.

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