Spanien gegen die Niederlande ist, schaut man in die Frühe Neuzeit, eine solche Paarung, die eigentlich nur möglich ist, weil zwei Territorien sehr lange über ihre Trennung stritten.
![]() |
Goethe, Schiller und die Lust an der Verwicklung
Eigentlich muss man sich bei den deutschen Klassikern Goethe und Schiller bedanken, dass Spanier und Niederländer mittlerweile entspannt aufeinander schauen können. Denn beide Dichter warfen sich zu Beginn ihrer gemeinsamen Weimarer Zeit mit Verve auf den Loslösungsprozess der protestantischen Niederlande vom katholischen Spanien - und verbanden politische Debatten vor allem mit einem: großen amourösen Verwicklungen.
Ein altes Lied
Der Aufstand der Niederlande gegen die spanische Herrschaft, in den Geschichtsbüchern als 80-jähriger Krieg geführt, wird auch am Abend vor Beginn des WM-Finales in der niederländischen Hymne, "Het Wilhelmus", jenem Lied, das angeblich schon im 16. Jahrhundert gesungen wurde, noch nachklingen.
"Een Prinse van Oranje/ben ik, vrij, onverveerd/den Koning van Hispanje/ heb ik altijd geëerd", hört man in dem 1932 zur Hymne erhobenen Lied. Zu Deutsch heißt das so viel wie: "Ein Prinz von Oranien bin ich, frei und furchtlos, den König von Spanien hab' ich allzeit geehrt."
Ein Konfessionskonflikt
Es ist die Inquisition, also die Verfolgung der "Ketzer" aus katholisch-spanischer Sicht, die den Konflikt zwischen Spanien und den Niederlanden prägte.
Im 16. Jahrhundert gehörten die 17 niederländischen Provinzen als Teil ererbter Herrschaft zu Spanien. Die mächtigen Häfen Antwerpen und Rotterdam waren gerade für das koloniale Spanien von großer Bedeutung. Doch in vielen Provinzen der Niederlande, die damals bis nach Nordfrankreich und Luxemburg reichten, schloss man sich zum Missfallen der katholischen spanischen Herrschaft dem Calvinismus an.
Philipp II. und die Neuordnung der Niederlande
Als Philipp II. von Spanien von seinem Vater Karl V. 1555 die spanische Herrschaft über die Niederlande übernimmt, sind Unruhen an der Tagesordnung. Philipp verschärft die Gegenreformation, setzt im Verbund mit seiner Halbschwester Margarethe von Parma den Bischof von Mechelen, Antoine Perrenot de Granvelle, als Ersten Minister ein und ordnet die Kirchenverwaltung neu, um die niederländischen Generalstaaten besser im Griff zu haben.
Doch in Wilhelm I. von Oranien hat der niederländische Staatsrat einen hartnäckigen Widersacher gegen die spanische Herrschaft. Wilhelm erwirkt die Absetzung De Granvelles und bittet um die Aufhebung der Inquisition. In den Bilderstürmen der Calvinisten erreicht der Widerstand der Protestanten gegen die Spanier 1567 einen ersten Höhepunkt. Als Reaktion schickt Philipp den Herzog von Alba, der noch Jahrhunderte später die Fantasie von Literaten beflügeln wird, in die Niederlande.
Herzog von Alba in den Niederlanden
Alba, den man später als den "Henker der Niederlande" bezeichnen wird, soll die Aufstände mit Sondergerichten niederhalten. Der "Blutsrat von Brüssel", bei dem mehrere tausend Menschen getötet werden, und die "Spanische Raserei" von Antwerpen, bei der binnen drei Tagen 18.000 Menschen das Leben lassen, gehen auf das Konto jenes Mannes, der schon Philipps Vater in zahlreichen Auseinandersetzungen mit harter Hand zur Seite gestanden war.
Doch die Taten des Herzogs von Alba fachen den Widerstand nur weiter an. Mit Angriffen auf Seetransporte machen die niederländischen "Wassergeusen" ("Wasserbettler") der spanischen Herrschaft das Leben weiter schwer. Wilhelm I. von Oranien kann seine Führungsrolle in den Provinzen nach der Eroberung von Holland und Zeeland festigen. Noch einmal legen die 17 Provinzen mit der "Genter Pazifikation", in der religiöse Toleranz und der Abzug der Spanier gefordert werden, eine gemeinsame Willensbekundung vor.
Die Teilung der Niederlande
Doch ab 1579 zerbrechen die niederländischen Provinzen selbst an den religiösen Konflikten im Inneren. Die katholisch dominierten Regionen schließen sich in der Union von Arras zusammen, die vorwiegend calvinistischen Gebiete bilden die Utrechter Union, in der vor allem die Provinz Holland den Ton angibt. Fortan wird von den (protestantischen) Generalstaaten und den (katholischen) Spanischen Niederlanden gesprochen.
Bis zum Westfälischen Frieden decken einander die protestantischen Niederlande und das katholische Spanien mit zahlreichen Konflikten ein, die sich sogar bis in die Gewässer vor Kuba (1628) verlagern. Erst der Friede von Münster im Herbst 1648 bringt ein endgültiges Ende dieses Konflikts und die Anerkennung der Republik der Vereinigten Niederlande.
Schiller schaut ins Geschichtsbuch
Dass der Freiheitskampf der Niederlande beim Sturm-und-Drang-erprobten Friedrich Schiller wenige Jahre vor der Französischen Revolution und im Erscheinungsjahr von Kants "Kritik der praktischen Vernunft" auf fruchtbaren Boden fiel, kann nicht verwundern.
"Ein herzhafter Widerstand" könne auch den "Arm des Desporten beugen", schreibt er in der "Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung" im Jahr 1788. 1783 wollte es sich Schiller, nachdem er auf Abbe de Saint Reals "Histoire de Dom Carlos, fils de Philippe II" gestoßen war, noch "zur Pflicht machen, in der Darstellung der Inquisition die Prostitution der Menschheit zu rächen".
Politische Pflicht und innere Sendung
1787 wurde "Don Karlos" im Hamburger Schauspielhaus erstmals auf die Bühne gebracht, und das Publikum hatte ein höchst kompliziertes Stück zu verdauen. Den Konflikt des Freiheitskampfes verlagert Schiller vom Staatenkonflikt an den spanischen Hof, rund um den Königssohn, der seine Verlobte an den Vater abtreten muss.
Don Karlos ist der Held, der hin und her gerissen ist zwischen politischer Pflicht und innerem Sentiment. Hier die Ansprüche auf das authentische Gefühl, da die Maschinerie eines Staates, der den Einzelnen gnadenlos den Machtinteressen opfert. Der moralische Leuchtturm, der aber zunehmend in Widersprüche gerät, ist der Marquis Posa. Er will Absolutismus und Aufklärung miteinander vereinen und rät Don Karlos zum poltischen Engagement in den fernen Niederlanden.
"Abgeordneter der ganzen Menschheit"
"Dein Herz ist ausgestorben. Keine Thräne
Dem ungeheuren Schicksal der Provinzen,
Nicht einmal eine Thräne mehr! - O Carl,
Wie arm bist du, wie bettelarm geworden,
Seitdem du Niemand liebst als dich", appelliert der Marquis an den am liebenden Herzen laborierenden Karlos.
Doch Posa als "Abgeordneter der ganzen Menschheit" muss selbst das Intrigenspiel des Hofes mitmachen und fällt ihm zum Opfer. So muss auch Karlos jenen Mächten unterliegen, die sich mit allen Mitteln gegen das "Gift der Neurer" wenden, wie es der Herzog von Alba formuliert:
"Sein Herz erglüht für eine neue Tugend,
Die, stolz und sicher und sich selbst genug, Von keinem Glauben betteln will. - Er denkt!
Sein Kopf erbrennt von einer seltsamen
Chimäre - er verehrt den Menschen - Herzog,
Ob er zu unserem König taugt?"
Egmont vs. Alba
Auch Goethes ein Jahr nach Schillers "Don Karlos" fertiggestellter "Egmont" endet mit dem Tod des Helden, den auch der erhoffte Aufstand des Volkes gegen die absolutistische Staatsgewalt nicht retten kann. Einmal mehr verbindet sich im niederländischen Grafen Egmont, der ebenso im Konflikt gegen den Herzog von Alba unterliegt, der privat Liebende und der öffentlich agierende Politiker.
Die Warnungen seines Freundes Wilhelm von Oranien schlägt Egmont in den Wind. Der Glaube, mit der Aufrichtigkeit des Herzens überzeugen zu können, wird vom politischen Gegenüber enttäuscht. Am Ende stirbt die "himmelhoch jauchzende und zu Tode betrübte" Geliebte, Clärchen, am Gift, während Egmont pathetisch seinem Ende entgegenschreitet.
Streit über die richtige Tonart
Schiller wird Goethe noch Jahre nach der Fertigstellung Vorwürfe für die dramatische Gestalt seines Stücks machen. Ihm war das Stück zu "opernhaft". Die später von Ludwig van Beethoven komponierte Schauspielmusik zum "Egmont" (1809/1810) kann der 1805 verstorbene Schiller nicht mehr rezipieren.
Die Begeisterung der beiden Dichter für den Freiheitskampf der Niederländer steht nicht nur im Kontext der früheren Sturm-und-Drang-Phase, die gerade im "Egmont" immer wieder durchschimmert. Gegen den modernen Absolutismus führt Goethe, geschult an seinem historischen Lehrer Justus Möser, die älteren ständischen Rechte, die Egmont vertritt, ins Feld.
Als er nach der Fertigstellung seines Stücks vom Aufstand der Brabanter vor dem Palast der Statthalter in den (katholischen) Niederlanden liest, fühlt er sich in seiner Grunddiagnose bestätigt. Die Margarethe von Parma aus seinem Stück heißt nun Marie Christine (die ihrem Mann August von Sachsen Teschen ja in die Niederlande gefolgt war). Statt den Spaniern gilt nun anderen die Skepsis der deutschen Klassik: den Österreichern.
Gerald Heidegger, ORF.at
Links:
- Achtzigjähriger Krieg (Historicum.net)
- Klassikstiftung Weimar
- Originaltext "Don Karlos" (Projekt Gutenberg)
- Originaltext "Egmont" (Projekt Gutenberg)