Produktpiraterie, Menschenhandel und Geldwäsche

Polizei hat kaum Einblick in die schwer zugängliche chinesische Gemeinschaft.
Die italienische Polizei muss sich nicht mehr nur mit Camorra und Co herumschlagen. In Norditalien, vor allem in der den Städten der Toskana, hat sich die chinesische Mafia breitgemacht.

Über deren Macht und Umsätze lässt sich bisher offenbar nur spekulieren, eine Razzia der Finanz- und Zollpolizei hat aber erste Aufschlüsse darüber gebracht. Die Behörden ließen eine chinesisch-italienische Organisation hochgehen, die 2006 2,7 Milliarden Euro gewaschen haben soll.

Riesiger Einsatz
Mit mehr als 1.000 Beamten wurden am Montag 73 Firmen und 181 Häuser und Wohnungen durchsucht, 166 Luxusautos wurden beschlagnahmt. Bei dem Schlag gegen die chinesische Mafia wurden 22 Personen verhaftet, weitere zwei wurden unter Hausarrest gestellt. Haftbefehle wurden gegen 17 Chinesen und sieben Italiener erlassen. Ermittlungen laufen auch gegen weitere 108 Personen, darunter mehrere Unternehmer.

780.000 Produkte sichergestellt
Die Organisation nutzte Geldüberweisungsbüros, um das Geld aus den kriminellen Aktivitäten zu waschen. Die Bande kreiste um eine chinesische Familie, die sich vor allem auf die Herstellung gefälschter Markenprodukte spezialisiert hatte und mit einer italienischen Familie den Kern der Organisation bildete. Im Rahmen der Razzia wurden 780.000 Artikel sichergestellt, die per Schiff nach Italien gebracht oder im Raum von Florenz hergestellt wurden.

Die Behörden sprachen von einer ungewöhnlichen Ermittlung. Man sei auf einen Berg von Geld gestoßen und musste nachher rekonstruieren, durch welche Verbrechen dieses angehäuft wurde. Normalerweise habe man zuerst die Delikte im Visier.

Textilstadt als Zentrum
Während Süditalien von der eigenen Mafia kontrolliert wird, haben sich chinesische Gangs die Nischen in Mittel- und Norditalien ausgesucht, so die Ermittler. Eines der Zentren der chinesischen Geschäfte ist die Stadt Prato in der Toskana.

Schon seit dem Mittelalter ist die Stadt ein Textilzentrum, nach einer tiefen Krise in den 90er Jahren wurde die Branche praktisch von China übernommen. 45.000 Chinesen leben in der Stadt, glaubt Piero Tony, Staatsanwalt in Prato. Legal im Land sind nur rund 10.000.

Menschenhandel und Ausbeutung
Die nun aufgeflogene Bande wird auch des Menschenhandels beschuldigt. Sie soll junge Frauen aus China als Prostituierte und als Arbeiterinnen in illegalen Fabriken in Italien ausgebeutet haben. Die Migranten wurden geschlagen und bedroht.

Die Organisation nahm ihnen auch Dokumente weg, um sie auf diese Weise zu zwingen, ihre Schulden abzuarbeiten. Für das Schleppen nach Italien stellte die Bande nämlich pro Kopf 13.000 Euro in Rechnung.

Morde als Auslöser
Laut Roberto Cenni, dem Bürgermeister von Prato, werden 500 Millionen Euro jährlich zwischen der Stadt und China transferiert. Die zunehmende Kriminalität hatte die Behörden zuletzt auf den Plan gerufen. Ein Chinese wurde vor wenigen Wochen erschossen, zwei weitere in einem Cafe mit einer Machete tödlich verletzt. Sogar der chinesische Botschafter reiste nach Prato, um mit den Behörden Kontakt aufzunehmen.

Abgeschlossene Gemeinschaft
Der Chefstaatsanwalt der Anti-Mafia-Behörde, Piero Grasso, sagte gegenüber der "Financial Times", die Polizei habe enorme Probleme, in die abgeschlossene chinesische Community einzudringen. Es sei eine geschlossene Gemeinschaft, und die meisten begangenen Verbrechen würden sich in dieser Gruppe abspielen.

Die meisten Chinesen in der Stadt kommen aus Wenzhou, einer Stadt südlich von Schanghai. Es seien vor allem lokale kriminelle Netzwerke aus der Region, meint Yiu Kong Chu, Soziologieprofessor aus Hongkong. Und zumindest eine Beruhigung hat er parat: Mit den gefürchteten Triaden aus Hongkong habe diese Gruppe nichts zu tun.

Zusammenarbeit mit Camorra
Die Ermittler gehen aber auch davon aus, dass die Zusammenarbeit zwischen chinesischer Mafia und der Camorra in Neapel zunimmt. Der bekannte Schriftsteller und Mafia-Experte Roberto Saviano sagt, dass chinesische Banden mittlerweile den Hafen von Neapel kontrollieren. Rund 60 Prozent aller Waren würden durch den Zoll geschmuggelt, darunter Textilien, die dann nach Prato weitergeschickt werden.

Auch italienische Abgeordnete glauben nicht, dass es sich um ein rein regionales Phänomen handelt - sie fürchten chinesische Mafia-Aktivitäten rund um Rom - in Kombination mit offiziellen Wirtschaftskooperationen. In parlamentarischen Anfragen wollen sie wissen, ob chinesische Investitionen in italienische Infrastruktur - insbesondere beim geplanten Millionenprojekt "China Terminal" nahe der Hafenstadt Civitavecchia - nicht auch in mafiöse Strukturen eingebunden sind.

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