Polanski-Skandal neu aufgerollt

Polanski galt als internationaler Superstar, der mit seinem Charisma und seinem Lebenshunger perfekt ins partysüchtige Hollywood der 60er passte.
Regiestar Roman Polanski ist sicherlich eine der großen tragischen Figuren des Weltkinos. Schicksalsschläge und Skandale durchziehen seine Biografie. Ein Mitgrund für das neue Interesse an dem Vergewaltigungsprozess gegen den Regisseur, der 1977 mit einer 13-Jährigen schlief und danach aus den USA flüchtete, war im Vorjahr der Dokumentarfilm "Roman Polanski: Wanted and Desired".

Die Regisseurin Marina Zenovich lieferte mit der Dokumentation, die auch bei der Viennale zu sehen war, eine kompakte Zusammenfassung des Skandals, der 1977 und 1978 die Boulevardpresse dominierte.

Sex mit einer 13-Jährigen
Am 10. März 1977 arrangierte Polanski eine Fotosession mit der 13-jährigen Samantha Geimer für die französische Ausgabe der "Vogue". Er fotografierte das Mädchen beim Champagner-Trinken und nackt im Swimmingpool. Schließlich hatten sie Sex. Diese Tatsache ist unbestritten - Polanski gestand, des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig zu sein -, die Begleitumstände des Verbrechens sind es nicht.

Handelte es sich, wie das Opfer bis heute sagt, um eine Vergewaltigung, oder geschah der Akt im Einverständnis beider Beteiligten? Regisseurin Zenovich kann darauf keine Antwort geben und bemüht sich sichtlich um Objektivität - dennoch hat man manchmal den Eindruck, dass Polanksi zu einfach als gedankenloser Lebemann davonkommt.

Keine umfassende Biografie
Zu Beginn mäandert der Film, der auch in Sundance und in Cannes gezeigt wurde, etwas dahin. Er ist keine umfassende Polanksi-Biografie, gibt sich aber am Anfang so und zeichnet mit Interviews, Archivbildern und Filmausschnitten den Weg des polnisch-französischen Filmemachers von seiner Kindheit im Krakauer Ghetto bis zum Aufstieg in Hollywood nach.

Am stärksten ist "Wanted and Desired" aber, wenn sich die Regisseurin konkret auf den Vergewaltigungsprozess, seine Vor- und Nachgeschichte konzentriert. Dann wird die Dokumentation zu einem Gerichtsdrama, in dem es gar nicht mehr so sehr um die Sache selbst, sondern um die reichlich absurden Vorgänge im Gerichtssaal und hinter verschlossenen Türen im Richterzimmer geht.

Richter als Bösewicht
Wie ein ordentlicher John-Grisham-Thriller hat auch dieser Film einen Bösewicht: den Richter Laurence Rittenband (der 1994 starb und dessen Sicht der Dinge daher recht unterrepräsentiert ist). Er wird einerseits als Witzfigur dargestellt, andererseits als aufmerksamkeitsgieriger Selbstdarsteller, der den gesamten Prozess inszenierte.

Polanskis Verteidiger Douglas Dalton und der mit dem Fall betraute Staatsanwalt Roger Gunson berichten in dem Film übereinstimmend, wie der Richter sie etwa davon überzeugen konnte, einen im Gespräch schon erreichten Kompromiss im Gerichtssaal noch einmal nachzuspielen, um vor der Presse "überzeugender" zu wirken.

Das war offenbar nicht der einzige juristisch zweifelhafte Vorgang. Selbst Staatsanwalt Gunson und das Opfer Samantha Geimer bezeichnen im Interview das komplette Verfahren unter Rittenband als "orchestriert" und "Schwindelei". Der Richter wurde später auch von dem Fall abberufen.

Überstürzte Flucht
Wäre Polanski in den USA geblieben, hätte er nach den Verwicklungen hinter den Kulissen und seinen bereits absolvierten 42 Tagen unter psychiatrischer Begutachtung in einer Haftanstalt wohl gute Chancen gehabt, nur noch eine Bewährungsstrafe auszufassen, auch wenn theoretisch bis zu 50 Jahre Gefängnis möglich gewesen wären.

Doch kurz vor der Verkündung des Haftausmaßes verließ er überstürzt die USA. Es muss eine Kurzschlusshandlung gewesen sein, hat man den Eindruck; der öffentliche Druck scheint dem Regisseur zu viel geworden zu sein.

Bedrängt von den Medien
Das ist das zweite große Thema in "Wanted and Desired": Der Regisseur, argumentiert Zenovich etwas bemüht, aber doch glaubhaft, sei schon nach der Ermordung seiner Ehefrau Sharon Tate massiv von der Klatschpresse verfolgt worden.

Archivaufnahmen zeigen, wie Polanski quasi rund um die Uhr von einer Traube von Fotografen, Kameraleuten und Reportern bedrängt wurde; von den oft kritisierten heutigen Jagden der Paparazzi auf Prominente sind diese Bilder kaum zu unterscheiden.

Charisma und Lebenshunger
Polanski galt als internationaler Superstar, der mit seinem Charisma und seinem Lebenshunger - wie es ein Freund im Film ausdrückt - perfekt ins partysüchtige Hollywood der 60er passte.

Polanski sei damals "die Geschichte" gewesen, sagt der ehemalige "Bunte"-Reporter Claus Preute; er selbst sei monatelang nur damit beschäftigt gewesen, für sein Blatt immer neue Details in dem Vergewaltigungsfall zu recherchieren, ständig unter Druck, von der "Konkurrenz aus Frankreich" - gemeint ist wohl "Paris Match" - ausgebootet zu werden.

"Roman Polanski: Wanted and Desired" wird wohl nicht der letzte Beitrag über diese Episode in Polanskis Lebensgeschichte gewesen sein. Zenovich hat es aber geschafft, die 30 Jahre zurückliegenden Ereignisse gut recherchiert, spannend und ohne übermäßige Mythenbildung neu aufzurollen.

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