Von "Harry Potter" über "Tintenherz" bis zu den "Bis(s)"-Bänden - "All Age"-Titel liegen im Trend. Auch auf der Leipziger Buchmesse Ende März wurden diesmal besonders viele Bücher vorgestellt, die von fernen Welten erzählen und Leser allen Alters ansprechen sollen.
Von einer "Infantilisierung" unserer Gesellschaft spricht die Literaturwissenschaftlerin Gundel Mattenklott. Das eigentliche Kinderbuch bleibe dabei auf der Strecke, befürchtet die Vorsitzende des Arbeitskreises für Jugendliteratur (AKJ), Regina Pantos. Denn schon Leseanfängern würden Geschichten mit rosafarben gewandeten Prinzessinnen und Elfen, tapferen Rittern und Piraten aufgetischt.
Zeitgenössische Literatur für Erwachsene zu anspruchsvoll?
Aber warum liest ein Erwachsener Bücher, die in erster Linie märchenhafte Geschichten für ein jüngeres Publikum bieten? "Die zeitgenössische Literatur für Erwachsene ist oft sehr komplex und anspruchsvoll. Dann wendet man sich vielleicht auch ganz gerne solchen verständlicheren Büchern zu, die trotzdem ein gewisses literarisches Niveau haben", meint Mattenklott, Professorin an der Berliner Universität der Künste.
Es sei allerdings bedenklich, wenn die Welt vielen Erwachsenen so schwierig erscheine, dass sie sich mit ihrer Lektüre in eine Fantasiewelt flüchten. Die Infantilisierung zeige sich zum Beispiel auch an der Tatsache, dass viele Erwachsene mit kleinen Teddybärchen und anderen Maskottchen an ihren Rucksäcken herumlaufen - "da denkt man dann schon: noch nicht so ganz erwachsen!"
"Verdrängungswettbewerb" durch "All Age"-Boom
AKJ-Vorsitzende Pantos hält viele der "All Age"-Fantasyromane für veritable Nachfolger der früher beliebten Heftchenromane. "Wenn man die 'Bis(s)'-Bücher anschaut - das ist Schmonzette pur", sagt sie.
Das Motiv einer Flucht in fantastische Parallelwelten sieht auch sie: "Man kann dort die großen Themen der Menschheit abhandeln, aber für das eigene Leben bleibt es völlig folgenlos - dafür ist auch der Kinofilm 'Avatar' ein Musterbeispiel."
Wo Erwachsenen vielleicht ein literarischer Ausflug in virtuelle Welten genügt, brauchen Kinder mehr als bloße Unterhaltung, findet Pantos. Anspruchsvolle Kinderbücher, die auf die reale Lebenswelt von Sechs- bis Elfjährigen eingehen, gebe es im Gegensatz zur boomenden Fantasyliteratur immer weniger. "Die 'All Age'-Bücher haben inzwischen einen riesigen Marktanteil, es findet ein Verdrängungswettbewerb statt", so Pantos.
Fantasy als Cashcow
"Fantasy - das ist ein Bereich, mit dem die Verlage sehr gutes Geld verdienen", sagt auch Buchmesse-Direktor Oliver Zille. Aber nicht in allen Verlagen heißt das Konkurrenz für das Kinderbuch.
"'All Age'-Titel sind eine Ergänzung des Programms. Für das klassische Kinderbuch bedeuten sie in unserem Verlag keine Gefahr", sagt Imke Ahrens, Programmleiterin beim Cecilie Dressler Verlag, der Cornelia Funkes "Herr der Diebe" mit zwei verschiedenen Covern herausgebracht hat.
Nicht von der Hand zu weisen ist außerdem ein Argument von Renate Grubert von der Verlagsgruppe Random House, wo nicht zuletzt für "All Age"-Titel der cbt-Hardcover-Verlag für Bücher für (junge) Erwachsene gegründet wurde.
Der "Potter"-Saga und den Bestsellern von Funke komme das große Verdienst zu, dass sie Grenzen geöffnet hätten, sagt Grubert - mehr Leser lesen mehr Bücher. So geschehen zum Beispiel auch mit Markus Zusaks alles andere als oberflächlichem Werk "Die Bücherdiebin".
Elke Vogel, dpa
Links: