"Frederick" erobert die Kinderzimmer

Mit zehn Jahren lieber im Museum als auf dem Fußballplatz.
Vor 100 Jahren, am 5. Mai 1910, wurde der Kinderbuchautor und -illustrator Leo Lionni geboren. Als er 1999 im Alter von 89 Jahren starb, hatte Lionni mehr als 40 Bilderbücher veröffentlicht, die meisten davon nicht länger als 20, 30 Seiten.

Gleich vier seiner Werke aber hatten eine der größten Kinderbuchauszeichnungen der USA erhalten, die Caldecott Honor. 1984 wurde Lionni zudem die Goldmedaille des American Institute of Graphic Arts verliehen. Gemeinsam mit Eric Carle und Maurice Sendak hatte er den kitschig-moralischen Stil von Kinderbüchern bis dahin revolutioniert.

Bereits 1962 erhielt er den Lewis Carroll Shelf Award, 1965 wurde ihm der Deutsche Jugendliteraturpreis zugesprochen. Mit dem Mäuserich "Frederick" (1967) begeisterte Lionni Millionen von Kindern.

Die Sonne sammeln statt Nüsse
In dem Welterfolg, der aus lediglich 14 Zeichnungen und 50 Sätzen besteht, bereitet sich eine Mäusegruppe auf den Winter vor. Nur der kleine Frederick macht nicht mit. Er liegt lieber auf der faulen Haut und betrachtet die Sonne, als Nüsse und Körner zu sammeln.

Als aber die Nächte im Versteck in der alten Steinmauer immer länger werden, schlägt Fredericks Stunde. Als Einziger hat er die Sonne eingefangen, kann er sich noch an die Farben eines Sommertags erinnern. Und die Erzählungen davon wärmen schließlich auch die anderen Mäuse im Loch - mehr als es die Nüsse vermögen.

Sendak, Carle und die Collage
Auch mit "Swimmy" (1963), "Fisch ist Fisch" (1970) und "Pezzettino" (1975) gelangen Lionni Welterfolge. Noch heute, bis zu ein halbes Jahrhundert später, sind viele seiner Werke auf Deutsch erhältlich - eine Ehre, die nur wenigen Kinderbuchautoren zuteilwird.

Als einer der Ersten hatte Lionni in seinen Bildern Collagetechniken verwendet und damit neben den US-Autoren Sendak ("Wo die wilden Kerle wohnen") und Carle ("Die kleine Raupe Nimmersatt", "Chamäleon Kunterbunt") die Welt der Kinderbuchillustration verändert.

Das Ende des Kitsches
Die Gegenstände und Figuren wirken unfertig, zusammengewürfelt und kommen mit wenigen, eher blassen Farben aus. Tatsächlich hatte Lionni häufig Tapeten, Zeitungspapier und farbigen Karton benutzt und auf Papier aufgeklebt - ein beeindruckender Gegenentwurf zur grellen Welt des Kitschstils im Bilderbuch.

Im deutschsprachigen Raum führte etwa Susi Weigel, die Illustratorin von Mira Lobes "Das kleine Ich bin ich", diesen Stil fort. Auch in der "Sendung mit der Maus", die bereits Generationen von Kindern begleitete, waren Lionni-Figuren zu sehen.

Kinderbücher aus Verlegenheit
Dabei wurde Lionni nach eigenem Bekunden aus reiner Verlegenheit zum Autor für Kinder. 1959 sei er mit seinem fünfjährigen Enkel und seiner dreijährigen Enkelin im Zug von Manhattan nach Connecticut gesessen, berichtete er in seiner Autobiografie "Zwischen Zeiten und Welten" - und die beiden mussten unterhalten werden.

So schnappte er sich eine Seite aus dem "Life"-Magazin in seiner Tasche, zerriss sie in kleine blaue Stücke und tat dasselbe mit grünen und gelben Papierfetzen. Heraus kam "Das kleine Blau und das kleine Gelb", Lionnis erstes Kinderbuch. Und da er soeben als Artdirector beim "Fortune"-Magazin gekündigt hatte, machte er fortan eben mit Kinderbüchern weiter. Da war er bereits in seinen späten 40ern.

Einzigartige Arbeitsweise
Lionnis Arbeitsweise habe keiner anderen in ihrem Verlag geglichen, erinnerte sich dessen ehemalige US-Verlegerin bei Knopf Books for Young Readers, Janet Schulman. Nie habe es im Voraus irgendetwas zu sehen gegeben. "Er war enorm überzeugt, dass seine Geschichte und die Illustrationen perfekt waren und wir sie mögen würden", berichtete Schulman. "Und wir taten es jedes Mal."

Ein Kinderleben mit Bildern
Bereits in seiner Kindheit hatten Bilder eine große Rolle in Lionnis Leben gespielt. Der Sohn eines jüdischen Diamantenschleifers und einer Sängerin verbrachte seine ersten zwölf Lebensjahre im Amsterdam der 1910er Jahre unweit des Rijksmuseums.

Glaubt man seiner Autobiografie, glichen die Kindertage aber so gar nicht denen eines durchschnittlichen Buben.

Museum statt Fußball
Während die Schulkollegen Fußball spielten, ging der kleine Leo am Samstagvormittag ins Museum, setzte sich hin und fing an, die alten niederländischen Meister nachzuzeichnen.

Über seinen Onkel Willem, einen Kunstsammler, lernte Lionni zudem die Werke der damaligen Avantgarde kennen - Marc Chagall, Paul Klee, Wassili Kandinsky, Piet Mondrian. Später kam noch eine Begeisterung für das Bauhaus und den italienischen Futurismus hinzu.

Mit 14 bereits fünfsprachig
1922 zog die Familie in die USA und noch einige Länder mehr weiter, ehe sich die Lionnis 1925 in Italien niederließen. Mit 14 beherrschte Leo bereits fünf Sprachen. 1939 schließlich emigrierte er als Gegner der italienischen Faschisten nach Amerika.

Plakate im MoMA
Nach seinem Wechsel in die USA leitete Lionni die Grafikabteilung der Parsons-Designschule in New York und lehrte an der Universität Yale. Er wurde Artdirector des "Fortune"-Magazins, war Mitherausgeber von "Print", Chefdesigner von Olivetti und Artdirector einer der größten US-Werbeagenturen.

Einige von Lionnis Plakatentwürfen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs befinden sich heute im Museum of Modern Art (MoMA) in New York.

Schnecken in Buch und Zimmer
"Ich habe entdeckt, dass die Figuren meiner Geschichten dieselben Frösche, Mäuse, Stichlinge, Schildkröten, Schnecken und Schmetterlinge sind, die vor mehr als einem Dreivierteljahrhundert mein Zimmer bevölkerten", sagte Lionni kurz vor seinem Tod.

In den letzten Jahren seines Lebens litt Lionni, der 1945 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, an Parkinson. Im deutschen Monheim ist heute eine Sprachförderschule nach ihm benannt.

Thomas Unger, ORF.at

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