Aufgrund der vergleichsweise hohen Arbeitslosenrate haben jene Institute, die für die Weiterbildung von Menschen auf Jobsuche zuständig sind, Hochkonjunktur. Die oberösterreichische Dokumentation "Jobcenter" kommt deshalb zur rechten Zeit.
Dieser Tage wird sie beim Filmvestival "Crossing Europe" in Linz gezeigt. Offiziell läuft der Film Ende September in den Kinos an, die DVD kann man schon jetzt bei sixpackfilm online bestellen.
Vom System ausgeschlossen
Fünf Menschen werden auf ihrem Gang durch die Institutionen begleitet. Im "Jobcenter", einer Maßnahme des Arbeitsmarktservice (AMS), soll ihnen geholfen werden, wieder Anschluss zu finden. Regisseurin Angela Summereder weiß, wovon sie erzählt.
Als Trainerin beim AMS hat sie selbst Arbeitslose betreut und so die Menschen hinter der gesichtslosen Statistik kennengelernt. In eindrucksvollen Bildern erzählt sie langsam, unaufgeregt und gerade deshalb so packend von den Nöten und Hoffnungen jener, die vom Wirtschaftssystem zumindest temporär ausgeschlossen werden.
Mit dem Job die "Familie" verloren
Da ist die ehemalige Kantinenpächterin Sieglinde. 18 Jahre lang hat sie am Rande eines kleinen Flugplatzes ihr Lokal betrieben. Sie kannte alle Piloten, jeder kam vorbei, um sie zu begrüßen, selbst wenn er nichts konsumierte. "Das war wie eine Familie", erinnert sie sich mit Tränen in den Augen.
Dann wurde der Flugplatz erneuert und bekam ein schickes Restaurant. Sieglinde scheint nicht mehr ins Konzept gepasst zu haben, sie musste das Feld räumen. Wut verspürt die blonde Frau mit Dauerwellen in ihren Fünfzigern vor allem wegen der Feigheit der Verantwortlichen.
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©Bild: sixpackfilm |
Man hätte ihr die Wahrheit ruhig zumuten können, meint sie: dass man lieber jüngere Frauen hinter der Bar sehen wollte, die Männer ins Lokal locken. Wirklich wehgetan habe ihr die Kommunikationslosigkeit.
Ungeliebter Betriebsrat
Helmut hingegen hat zwar selbst gekündigt, wütend auf seinen ehemaligen Arbeitgeber ist dennoch auch er. Nach jahrelanger Anstellung war der gestandene Mann mit Vollbart von Kollegen gebeten worden, als Betriebsrat anzutreten.
Er setzte sich künftig in seiner Firma für einen arbeitsfreien 8. Dezember und für die Einhaltung der Ruhezeiten ein. Von den Mitarbeitern wurde ihm dabei nicht der Rücken gestärkt - und der Chef schikanierte ihn. Als dann noch die Verkaufsfläche in dem Geschäft trotz Personaleinsparungen vergrößert wurde, zog Helmut die Konsequenzen - eine Frage der Ehre.
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©Bild: sixpackfilm |
Mittlerweile ist er so lange ohne Arbeit, dass er lügt, wenn jemand nachfragt: "Ich sage niemandem mehr, dass ich arbeitslos bin, weil mir das schon so auf den Geist geht." In der vielen Freizeit bastelt er an seinem renovierungsbedürftigen Häuschen herum.
Jung und ohne Arbeit
Neben diesen beiden Beispielen für ältere Arbeitslose werden auch drei jüngere Betroffene vorgestellt. Atafa aus Afghanistan hat in Österreich maturiert und das kaufmännische Kolleg einer Handelsakademie absolviert. Sie sucht einen Job als Bürokraft.
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Ein Bursch mit Bäckerlehre fand in seiner Umgebung keinen Job in dem Beruf, den er eigentlich liebt. Deshalb machte Mathias eine Ausbildung zum Masseur - da knetet man auch herum - und sucht nun Arbeit in der Gesundheitsbranche.
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Der dritte junge Arbeitslose entspricht eher dem Klischeebild. Martin könnte als gelernter Elektriker jederzeit Arbeit finden, was er auch zugibt, hat aber keine Lust. Was er wirklich will, weiß er noch nicht. So hilft er eben im Landwirtschaftsbetrieb seines Vaters mit.
Suche nach "Fast Forward"-Knopf
Im "Jobcenter" stehen den fünf Arbeitssuchenden ausgebildete Trainer gegenüber. Keiner von ihnen macht seine Sache schlecht, aber als Zuschauer sieht man das Dilemma solcher Maßnahmen. Mit bis zu 20 vollkommen unterschiedlichen Klienten in einem Kurs ist es nicht möglich, für alle den richtigen Ton zu finden.
Für junge Menschen mag das lehrerhafte Auftreten einer geschäftigen Vortragenden passen, den Älteren gegenüber ist es eine Zumutung. Die langsame, getragene Redeweise des Motivationstrainers wiederum trifft vielleicht den Geschmack betagterer Kursteilnehmer, die Jüngeren werden wohl vergeblich nach einem "Fast Forward"-Knopf suchen.
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Stillstand ist auch keine Option, und so werden gemeinsam Lebensläufe und Bewerbungen erarbeitet und Gespräche mit möglichen Arbeitgebern geübt. Zwischendurch trudeln Absagen ein.
Die Würde bleibt erhalten
Summereder führt die Jobsuchenden nicht vor - genauso wenig wie sie Rechtfertigungen sucht. In Interviews erzählen die Protagonisten ihre Geschichte und wahren dabei zu jeder Zeit ihre Würde. Die Kamera fängt auch nachdenkliche Momente ein.
Wenn überhaupt, steht hier ein Wirtschaftssystem am Pranger, in dem der Ausschluss vieler Menschen kaltblütig einkalkuliert wird. Hauptsächlich aber liefert der Film den Hintergrund zu einer Debatte, in der das Argument "Selber schuld" immer noch häufig bemüht wird.
Rhythmisch, aber ohne Hektik folgt eine Einstellung der anderen. Bei der Diagonale wurde Michael Palms Schnitt der Dokumentation ausgezeichnet. Man sieht ein Bewerbungsgespräch, Trainings und Bilder aus der privaten Lebenswelt der Interviewten.
Der Job des Arbeitslosen
Das Ende der Dokumentation muss naturgemäß offen bleiben. Als der Film schon fertig war, fragte Summereder noch einmal nach, wie es mit den fünf Arbeitslosen weitergegangen war. Das Ergebnis wird vor dem Abspann eingeblendet und ist bemerkenswert.
"Jobcenter" sollte im Schulunterricht verpflichtend gezeigt werden. Schließlich werden auch sonst zahlreiche Berufe vorgestellt, der des Arbeitslosen jedoch nicht. Die Arbeitslosigkeit bleibt eine Leerstelle und ist abseits der Statistiken noch immer ein Tabu - und das bei diesen Zahlen.
Simon Hadler, ORF.at
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