Der schwierige Weg nach Jerusalem

Die Entscheidung, nach Jerusalem zu gehen, brachte Jesus von Nazareth in ein dichtes Feld von Konflikten.
Lassen sich die historischen Umstände, die zum Tod von Jesus von Nazareth geführt haben, klären? Dass Jesus tatsächlich gelebt hat und in seiner Zeit eine innerjüdische Erneuerungsbewegung anführte, erscheint heute unbestritten.

Blickt man in die ältesten Quellen, so stößt man auf den Korinther-Brief des Apostels Paulus, der selbst kein Augenzeuge des Martyriums von Jesus von Nazareth war. "Die Herrscher dieser Welt" (1Kor 2,8) hätten Jesus gekreuzigt, liest man da. Der christliche Antijudaismus meinte ja über lange Zeit, einen Schuldigen für den Tod des Juden Jesus von Nazareth ausfindig gemacht zu haben: "die Juden".

"Außer der selten angezweifelten Tatsache, dass Jesus unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, gibt es keine einhelligen Ansichten darüber, wer den Anstoß zu seiner Verurteilung gegeben hat und aus welchen Gründen Jesus hingerichtet wurde", schreiben Gerd Theißen und Annette Merz in ihrem Standardwerk "Der historische Jesus".

Drei Konfliktparteien
Drei am Tod Jesu beteiligte Konfliktparteien könne man ausmachen, meinen Theißen und Merz. Da wären zunächst die Römer. Haben sie aus eigenen Interessen Jesus verurteilt oder formal ein Todesurteil des Hohen Rats (Synhedrium) bestätigt? "Motiv und Anklagepunkt können für die Römer nur politisch gewesen sein; sie gingen davon aus, dass Jesus einen politischen Machtanspruch geltend mache, indem er sich zum 'König der Juden' erhoben hat", so Theißen und Merz.

Als mögliche Partei kommt aber auch die jüdische Lokalaristokratie infrage. Wenn die jüdische Behörde, wie bei Markus und Matthäus berichtet, Jesus einen Prozess mit Todesurteil gemacht hat, bleibt die Frage, ob dieses Verfahren legal oder illegal abgelaufen ist. Für das Todesurteil wäre auf jüdischer Seite die Kapitalgerichtsbarkeit erforderlich gewesen, um überhaupt derartige Urteile fällen zu können.

Die Gründe für ein Todesurteil gegen Jesus könnten pragmatischer Natur gewesen sein: Hier wird jemand mit seiner Gruppe an Gefolgsleuten als politische Gefahr eingeschätzt. Meist werden theologische Gründe geltend gemacht, etwa der Messiasanspruch Jesu.

Gab es eine Pessach-Amnestie?
Ob das jüdische Volk Partei war bei der Verurteilung von Jesus von Nazarath, ist in Verbindung mit einer anderen Frage zu sehen: Hat es, da Jesus ja vor dem Pessach-Fest verurteilt wurde, so etwas wie eine Pessach-Amnestie gegeben?

Alle Evangelien berichten über eine solche Amnestie. Gab es eine Volkssympathie für Jesus (oder eine Erwartung, er sei der Messias?), so bleibt die Frage, sofern es eine entsprechende Veranstaltung gab, warum die Stimmung im Volk umgeschlagen ist.

War es die Lokalaristokratie, die maßgeblich am Drehen der Stimmung beteiligt war? Bei Matthäus wird der Anteil des Volkes am Urteil verstärkt, bei Lukas wird das Volk wieder entlastet. Johannes wiederum erwähnt das Volk in der Passionsgeschichte nicht - die Juden, das sind in dem Fall die Hohepriester.

Dass es den Brauch gegeben habe, zum Pessachfest einen Gefangenen freizulassen, habe bis jetzt nicht belegt werden können, schreiben Theißen und Merz. Vorstellbar wäre eine gelegentliche Amnestie.

Spannungsfeld Land und Stadt
Der Tod Jesu findet jedenfalls in einem breiten Spannungsfeld statt: hier ein vom Land kommender Charismatiker mit Gefolgschaft, da eine städtische (Jerusalemer) Elite, die an alten Gepflogenheiten festhalten wollte. Hier eine jüdische Erneuerungsbewegung, da die römische Fremdherrschaft.

Hohepriester und der römische Präfekt hatten in Bezug auf Jesus eine ähnliche Interessenlage. Jemand, der von einem neuen "Königtum" sprach, musste die herrschende Elite skeptisch machen.

"Schuldfrage" nicht beantwortbar
Die Frage nach der "Schuld" am Tod Jesu weisen Theißen und Merz als "unsachgemäß" zurück. Man könne nur herausfiltern, wer Verantwortung für seine Hinrichtung trage.

Sie erinnern auch daran, dass Jesus selbst sein "Ende riskiert" habe mit seiner Entscheidung, nach Jerusalem zu ziehen: "Er exponierte sich und zog bewusst Aggressionen auf sich." Ebenso richtig ist für die Autoren, dass Jesus Opfer von "strukturellen Konflikten zwischen Stadt und Land, Juden und Römern, Volk und Aristokratie" geworden sei.

Buchhinweise
Gerd Theißen, Annette Merz: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch. Vandenhoeck & Ruprecht, 557 Seiten, 33,90 Euro.

Albrecht Koschorke: Die heilige Familie und ihre Folgen. Ein Versuch. Fischer Verlag, 240 Seiten, 13,50 Euro.

Friedrich Wilhelm Graf, Klaus Wiegant (Hg.): Die Anfänge des Christentums. Fischer Verlag, 505 Seiten, 14,50 Euro.

Links: