Am Anfang von Maertens Erfindung stand eine Sohle, die mit Luftkammern versehen war, weshalb es sich damit angenehmer ging als mit Vollgummisohlen. Für den Vertrieb fand er in seinem Studienkollegen Herbert Funck einen Partner.
Frauen über 40
Aus Resten von Kriegsbeständen der deutschen Wehrmacht - Lederteilen von ausrangierten Hosen, Gummi von der Luftwaffe - begannen die beiden mit der Produktion. Schon bald waren die Schuhe vor allem bei Frauen über 40 so beliebt, dass 1952 eine Fabrik in München eröffnet werden konnte.
Durch eine Zeitungsannonce wurde in Großbritannien der Schuhproduzent Bill Griggs auf das Modell aufmerksam. Er kaufte die Lizenz, behielt das Prinzip der Sohle bei, von da an "Air Wair" genannt, veränderte aber das Design. Seit 1. April 1960 kennzeichnen die runde Lederkappe, gelbe Nähte und metallverstärkte Ösen den Look der Dr. Martens.
Schuhwerk fürs Proletariat
Griggs richtete sich mit seinem Schuhwerk der Kennnummer 1460 (zunächst acht Löcher) erfolgreich an die Arbeiterschaft. Postler bestellten die Stiefel in Massen, ebenso Polizisten und Bauarbeiter, und schon bald begann die Politisierung der "Docs".
Um seine Solidarität mit dem Proletariat unter Beweis zu stellen, trug der Sozialist Tony Benn sein Paar sogar im britischen Parlament.
Hard Mods und Skinheads
In den Jahren 1963 und 1964 entdeckte die Jugendkultur die "Doc Martens" für sich. Als Erste trugen die Hard Mods, eine Splittergruppe der Mods, die Schuhe aus dem Hause Griggs.
Sie fielen auch durch ihre Glatzen auf - aus ihrer Bewegung entwickelten sich später die Skinheads. Diese waren nicht zwingend rechtsnational eingestellt, aber dezidierte Vertreter der britischen Arbeiterkultur. Sie grenzten sich, teilweise aggressiv, von den modebewussten Mods und später von den Hippies ab.
Rechts und links
In den folgenden Jahrzehnten jedoch überwogen mehr und mehr Skinheads mit Neonazi-Hintergrund, weit über die Grenzen Großbritanniens hinaus. Durch sie gerieten die Dr. Martens als militante Schlägerstiefel in der öffentlichen Debatte in Verruf.
Auch am anderen Ende des politischen Spektrums trug man "Docs" - linke und anarchistische Punks schwörten auf sie seit den 70er Jahren. Im Internet findet man frühe Fotos der Punkband Sex Pistols, auf denen sie mit den Stiefeln zu sehen sind.
"Ein Schuh gewordenes Fuck You"
Die deutsche Tageszeitung "Welt" titelte ihre Dr.-Martens-Story mit "Ein Schuh gewordenes Fuck You" und traf damit den Punkt: Jugendliche Protestkultur, egal ob politisch rechts oder links orientiert, stellte sich dem Establishment aggressiv entgegen - mit Stahlkappenschuhen als Erkennungsmerkmal.
In den 80er Jahren trugen auch Angehörige der Wave-Bewegung Martens, in den 90er Jahren waren sie neben Converse-Turnschuhen ein Markenzeichen des Grunge. Für eine Dr.-Martens-Werbung musste sogar der tote Kurt Cobain herhalten. Die Martens-Quote bei alternativen Musikfestivals näherte sich 100 Prozent.
Sandalen und Blümchenstiefel
Heute sind sie längst zu einem universal einsetzbaren Accessoire geworden. Models gehen mit Dr. Martens über den Laufsteg, bei H&M kann man identisch aussehende Billigschuhe kaufen, und Stars aller Musikstile sind in Videos mit "Docs" zu sehen.
Mittlerweile haben die Originale mit dem Proletarierschuhwerk der 60er Jahre nur noch wenig gemein - ganz abgesehen davon, dass sie seit 2003 nicht mehr in England, sondern in Asien produziert werden. Die Herstellerfirma bietet Varianten in unzähligen Designs an - von Sandalen bis zum bunten Blümchenstiefel.
Neue Form der Rebellion?
Trotzdem beansprucht die Firma noch immer den Rebellenstatus für ihre Produkte, definiert auf der Website aber das Wort um. Rebell sei nicht mehr, wer marodierend durch die Straßen ziehe. Die wahre Form der Rebellion sei Individualität.
Und die, wird als Schluss nahegelegt, kann durch ein Massenprodukt wie Dr. Martens befeuert werden - weil es heute doch so viele unterschiedliche Designvarianten gibt, dass jeder sein eigener Rebell sein kann, wenn auch "without a cause". Denn sie wissen nur, in welchen Schuhen sie stecken.
Links:
- Dr. Martens (Wikipedia)
- Dr. Martens