Weltweit loten Bands mit den unterschiedlichsten Hintergründen das Genre aus, regrooven den Tanzsound von ABBA bis Techno, üben sich in musikhistorischen und aktuellen Querbezügen und haben gemeinsam, dass ihnen nur wenig heilig ist.
Das schöne Fallen
Eine dieser Bands ist Bunny Lake aus Wien, deren Aushängeschild ein apartes Sängerduo ist, bestehend aus der blonden Suzie on the Rocks und FM4-Moderator Christian Fuchs. Bunny Lake legen dieser Tage ihr neues Album "The Beautiful Fall" vor. Der Titel bezieht sich auf ein Buch von Alicia Drake, "Beautiful Fall: Lagerfeld, Saint Laurent, and Glorious Excess in 1970s Paris". Das passt natürlich gut zu Disco.
Das schöne Fallen evoziert aber auch das Sich-Verlieren im Rhythmus und eine gewisse Lust am Sich-Fallenlassen, die Kunst des Abstürzens und Wiederauferstehens. Scheinbar gelangweilt werden Textfetzen hingeworfen wie "I've got the blues, baby. The darkness tries to follow me".
Zurück in die Zukunft
Bei Bunny Lake läuten auf dem Dancefloor die Glocken - "The Darkness tries to swollow us". Immer wieder erfindet sich die Tanzmusik neu, nimmt Bezüge auf und verwirft sie wieder, der Remix ist dem Genre eingeschrieben und wird das auch bleiben.
Bunny Lake wissen darum: "I know it's really hard to take. I know, that you celebrate the fake. Tomorrow is ahead of us. Never look back." Die Reise geht direkt "Into the Future" - "Another day, another night. We will be fucked up but alright."
Zwischen Club und Espresso Susi
Die Bässe wummern im Mid- bis Uptempobereich, die Orgel orgelt, die Gitarre klimpert zu den Beats. Nonchalance wird hier auf die Spitze getrieben, so lange, bis sich niemand mehr sicher sein kann: Tanzt man hier im Club oder sitzt man auf einem Barhocker im Espresso Susi ums Eck?
Was wird der nächste Song sein? "Das Boot" von U96 aus dem Jahr 1991? Dann wird man wieder zurückgeholt ins Elektropop-Universum. Im Club könnten auf Bunny Lake CSS folgen oder Gossip - die, wie Bunny Lake, neben FM4 auch auf Ö3 gespielt werden.
Dieser Moment bleibt
Ein Driften durch Stimmungen und durch die Geschichte von Discomusik, musikalisch und textlich immer doppelt lesbar - einfach und direkt genauso wie auf Metaebene. Selbst sehnsuchtsvolle Erinnerungen haben Platz, weil die Geschichte von Discomusik längst auch zur ganz privaten Vergangenheit vieler Menschen gehört.
"It was 1994 and we kissed on the floor", heißt es im Song "1994". "Every summer has an end. it was different as it used to be. But this moment will stay with me." Die Songs schrauben sich rein und werden zu Ohrwürmen, ob man will oder nicht.
Eine Vergangenheit
Was Christian Fuchs mit anderen Vertretern der Nouveau Disco gemeinsam hat, ist ein denkbar discoferner Ausgangspunkt. Mit seiner Kultband (die darf man so nennen) Fetish 69 bewegte er sich zwischen sehr hartem Metal, Industrial und beatlastiger Elektronik.
Im zuckerlrosa Bauarbeiteranzug
In einem ähnlichen Referenzrahmen wie Bunny Lake ist das britische Elektropop-Duo Goldfrapp zu verorten, dessen Album "Head First" ebenfalls dieser Tage erscheint. Das Lied "Rocket" etwa kommt mit Orgelsynths daher, die Opus zur Ehre gereicht hätten.
Das Cover ziert Sängerin Alison Goldfrapp im zuckerlrosenen Bauerbeiteranzug, ein Laserstrahl pflanzt sich von ihrer Hand fort. "Oh, I've got a rocket", singt sie, das ist die Message des Songs.
Sie wurde im Umfeld von Tricky musikalisch sozialisiert, hat einen Namen innerhalb der Elektronikszene und keine Berührungsängste hin zum Pop. 2004 traten Goldfrapp als Vorband von Duran Duran auf.
Echt Gaga
Noch ein solches Duo sind The Ting Tings, ebenfalls aus Großbritannien. Sie schrauben aktuellen Pop auf wirklich Gaga hoch. Neben elektronischen Wurzeln bringt Sängerin Katie White ihre Vergangenheit als Riot Grrrl ein: "They Call me Stacy".
Weiters in der Britendisco: La Roux, die letztes Jahr mit "Bulletproof" einen UK-Nummer-eins-Hit landeten. Sängerin Eleanor Jackson hatte ursprünglich akustische Folksongs geschrieben. Vorbilder der 22-Jährigen sind neben David Bowie und Madonna The Knife.
"Pass this on"
"The Knife": Das schwedische Indiepop-Duo fällt ebenfalls in das Genre reflektierter Discomusik (abgesehen vom neuen, experimentellen Album "Tomorrow, in a Year"). Auch sie spielen in verschiedenen Welten, was sie etwa im Video zu ihrem Hit "Pass this on" thematisieren, wo im Hinterzimmer eines Landgasthauses Trainingsanzugträger zu tanzen beginnen.
"Pass this on" - Das Transzendieren zwischen Generationen , Kulturen und letztlich Schichten, Disco für den unironischen Schnauzbartträger quer durch die Jahrzehnte und für die Clubkids der Zehnerjahre.
Der Türsteher ist gnädig
Bands wie Bunny Lake, Goldfrapp, The Ting Tings, The Knife und La Roux sind in dieser Hinsicht die legitimen Erben Blondies. Aber, und darauf bestehen alle von ihnen, man darf das Ganze nicht überbewerten und mit Bedeutung überfrachten. Hallo - wir sprechen hier von Tanzmusik.
"Soon we will be History. It's the last days of Disco. (...) Say good bye to all your fading memories", singen Bunny Lake. In die Disco lässt der Türsteher heute alles rein, auch Wehmut und Endzeitstimmung. "When the night begins" ist sowieso wieder alles ganz anders.
Simon Hadler, ORF.at
Links: