Neuer Umgang mit Missbrauchsvorwürfen

Die Causa Groer zwang die Kirche zu einem Umdenken.
Sexueller Missbrauch, Prügel, Vergewaltigungsvorwürfe: Täglich gelangen neue Fälle von Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen an die Öffentlichkeit. Die katholische Kirche in Österreich ist allerdings nicht das erste Mal von einem Missbrauchsskandal betroffen.

Bereits vor 15 Jahren hatten Missbrauchsvorwürfe gegen den damaligen Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer eine schwere Kirchenkrise ausgelöst. "Die Geschehnisse damals haben sicher dazu geführt, dass Konsequenzen gezogen wurden", vergleicht der Sprecher der Erzdiözese Wien, Erich Leitenberger, die Causa Groer mit der aktuellen Situation. Geändert hat sich vor allem die Reaktion der Kirchenvertreter.

Missbrauch im Knabenseminar
Ein "profil"-Bericht im März 1995 hatte sexuellen Missbrauch von Minderjährigen im Knabenseminar Hollabrunn in Niederösterreich durch Groer enthüllt. Groer war in den 70er Jahren dort als Religionslehrer tätig.

Solidarität bekam Groer nicht nur von seinem Kollegen, dem umstrittenen ehemaligen St. Pöltner Diözesanbischof Kurt Krenn, für den sexueller Missbrauch durch Groer "völlig undenkbar" war.

Auch die damaligen Weihbischöfe Helmut Krätzl und Christoph Schönborn, heutiger Wiener Erzbischof, wiesen die Vorwürfe in einer ersten Reaktion scharf zurück: "Seit der Zeit des Nationalsozialismus (...) hat es in Österreich derlei Verleumdungspraktiken gegen die Kirche nicht mehr gegeben", hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Später Vertrauensentzug
Für diese "pauschalen und unüberprüften Anschuldigungen" in seiner ersten Reaktion auf die Vorwürfe entschuldigte sich Schönborn zwar Wochen später. Es dauerte aber drei Jahre, bis er seinem Vorgänger offiziell das Vertrauen entzog.

In einer viel beachteten Erklärung mit anderen Bischöfen betonte Schönborn 1998, zu der "moralischen Gewissheit" gelangt zu sein, dass die erhobenen Vorwürfe "im Wesentlichen zutreffen".

"Offensichtlich Fehlverhalten"
Schönborn zeigte sich selbstkritisch. Die Kirchenleitung sei mit der Affäre "nicht gut umgegangen". Bei Groer habe es "offensichtlich von seiner Seite ein Fehlverhalten gegeben", wozu eine Untersuchung zu einem früheren Zeitpunkt "verabsäumt" worden wäre.

Erst 1998 zog sich Groer - auf Bitte des Vatikans - völlig zurück und durfte nicht mehr als Bischof und Kardinal auftreten. Der Vatikan habe im Fall Groer "überhaupt nichts unternommen", sagte der Paudorfer Pfarrer Udo Fischer am Mittwoch in der ZIB2. Die Causa sei nur vertuscht worden.

Das große Schweigen
Groer schwieg weitgehend. Auch das wurde zunächst verteidigt. "In ausführlichen Gesprächen" habe Groer sein Schweigen über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe "einsichtig gemacht", hieß es in einer Erklärung der Bischofskonferenz im April 1995.

In einer kurzen Stellungnahme wies Groer "Inhalt und Gestalt der Diffamierungen und vernichtenden Kritik" zurück. Er bezog auch später nie klar Stellung.

Ungeachtet der Vorwürfe wurde der Ex-Erzbischof wenige Wochen nach Bekanntwerden des Missbrauchs von der Bischofskonferenz erneut zum Vorsitzenden gewählt. Groer verzichtete allerdings - nicht zuletzt aufgrund des öffentlichen Drucks - auf das Amt.

200.000 Kirchenaustritte in fünf Jahren
Sein Fall hatte aber bereits eine Eigendynamik entwickelt, die nicht mehr aufzuhalten war. In den ersten fünf Jahren nach der Causa Groer kehrten knapp 200.000 Menschen der katholischen Kirche den Rücken.

Ein sofortiger Rücktritt war für Groer kein Thema. Der Vatikan stellte ihm Christoph Schönborn als Koadjutor zur Seite. Als Erzbischof hörte Groer im Herbst 1995 auf - allerdings aufgrund seines Alters. Bereits 1996 übernahm er wieder als Prior erneut ein offizielles kirchliches Amt. Nach neuen Missbrauchsvorwürfen, die sich auf einen früheren Zeitraum bezogen hatten, musste er letztlich doch zurücktreten.

"Angreifer angegriffen"
Schon damals kritisierten Experten wie der Pastoraltheologe Paul Zulehner, dass der Konflikt "durch Mauern" beantwortet würde und "Angreifer angegriffen" und zum "Therapiefall" gestempelt würden.

Die Affäre Groer hatte nicht nur ein Steigen der Kirchenaustritte zur Folge, sondern auch Neuerungen in der Kirche. In allen Diözesen wurden Ombudsstellen für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche eingerichtet. In einem Kirchenvolksbegehren im Juni 1995 wurde die Zulassung von Frauen zu den Weiheämtern, die Aufhebung des Zölibats und mehr Mitsprache der Laien vor allem bei Bischofsernennungen gefordert.

Rascheres Handeln
Das Zölibat gibt es zwar bis heute und die Maßnahmen konnten auch die neue Skandalwelle nicht verhindern. Allerdings zwang die Causa Groer die Kirchenvertreter zu einem Umdenken, rascher zu handeln und klarere Worte zu finden.

Auch Schönborn zieht offenbar aus bisherigen Fehlern Konsequenzen: "Leider wurden in der Vergangenheit zu Unrecht in der Kirche die Täter oft mehr geschützt als die Opfer." Die Kirche solle sich nun "intensiv einbringen", um eine "Allianz gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch" zu bilden.

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