Die Angst wird greifbar

Bigelows nüchterner und gerade deshalb packender Film über das Phänomen Krieg.
"Der Rausch des Kampfes wird oft zu einer mächtigen und tödlichen Sucht. Denn Krieg ist eine Droge." Dieses Zitat des Kriegsberichterstatters Chris Hedges stellt Regisseurin Kathryn Bigelow ihrem mit sechs Oscars bedachten Irak-Kriegsdrama "The Hurt Locker" voran.

Bigelow arbeitete für das Drehbuch mit dem Journalisten Mark Boal zusammen, der aus dem Irak berichtet. Ihr Ziel, sagte die Independent-Regisseurin ("Gefährliche Brandung", "Strange Days") im Interview mit dem britischen "Time Out"-Magazin, sei es gewesen, einen realistischen und genauen Kriegsfilm zu drehen, der auf journalistischen Beobachtungen basiert und nicht auf Informationen des Militärs.

"Der gefährlichste Job der Welt"
Begleitet wird die Kompanie Bravo während der letzten 40 Tage ihres Einsatzes in Bagdad, ein Countdown zählt die Tage herunter. Die Kamera folgt drei Soldaten bei ihrem Alltag in einem Bombenentschärferteam.

Für Bigelow machen diese Teams den "gefährlichsten Job der Welt". Und die Angst wird im Film greifbar. Ein Fehler, eine kleine Unachtsamkeit können den Tod bedeuten. Die Soldaten sichern Gebäude, finden Leichen, machen Sprengkörper unschädlich und geraten mitunter in Schießereien.

Permanente Alarmsituation
Nachgezeichnet wird realistisch, ohne Action-Bombast und gerade deshalb so fesselnd, die permanente Alarmsituation in einem Krieg auf Stand-by, der immer nur kurz aufflackert - wobei man vorher nie weiß, wann und wo.

Jeder Zivilist ist verdächtig, weil er Selbstmordattentäter sein oder eine Bombe mittels Fernzünder zur Detonation bringen könnte. Auf Basis dieses Misstrauens bleibt die respektvolle Kommunikation mit der Bevölkerung auf der Strecke, Feindseligkeiten sind die Folge, zur Annäherung kommt es selten.

Sich schlagen und saufen
Sergeant JT Sanborn, Specialist Owen Eldridge und ihr Kommandant Sergeant William James werden weder als Helden noch als Bestien dargestellt. Sie geben sich in ihrer Freizeit gängigen Männlichkeitsritualen hin, klopfen Sprüche, spielen Ego-Shooter, hören Metal, schlagen sich und saufen.

Zu Spannungen kommt es, weil James eigenmächtig agiert, mit seinem Verhalten die Sicherheit des kleinen Teams gefährdet, Himmelfahrtskommandos befiehlt und sich dann noch von anderen Redneck-Kommandanten als "wilder Kerl" bewundern lässt. James braucht im Gegensatz zu seinen Kameraden, die Angst empfinden, den Adrenalinkick.

"Ich denke nicht nach"
Auf die Frage, wie er damit zurechtkomme, ständig sein Leben zu gefährden, obwohl zu Hause eine Frau und ein Kind auf ihn warten, antwortet er: "Ich denke nicht nach." Seine Familie ist ihm fern.

Vor seiner Abreise hatte er zu seinem kleinen Sohn gesagt: "Später werden Dir Dinge, die Du jetzt liebst, nicht mehr wichtig sein. Noch später wirst Du sie vergessen." Das ist ihm selbst im Rausch des Krieges passiert.

Töten oder getötet werden
Die psychologische Triebkraft hinter dem Einsatz, den die Soldaten freiwillig antreten, interessierte Bigelow am meisten: "Was braucht es, damit jemand sich in Situationen begibt, die Menschen wie Du und ich auf jeden Fall vermeiden wollen?"

Genauso wenig wie ein Propaganda- ist "Hurt Locker" ein Anti-Kriegsfilm. Zwar werden zynische Söldner gezeigt, und Soldaten sagen nach dem Töten Dinge wie "Gute Nacht. Danke fürs Mitspielen".

Aber man sieht auch, dass die, die einmal am Kriegsschauplatz sind, oft keine Wahl haben: Es heißt töten oder getötet werden. Hier wird aus der Beobachterposition heraus erzählt, es ist kein "Top Gun", kein "Platoon" und auch kein "Apocalypse Now".

"So ist Krieg", sagt einer der Soldaten lapidar - nicht mehr und nicht weniger. Alleine für diesen nüchternen Ansatz hat Bigelow jeden der sechs Oscars verdient.

Simon Hadler, ORF.at

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