Regiealtmeister Robert Dornhelm widmet dem gelernten Schweinehirten, späteren Demel-Besitzer und verurteilten Sechsfachmörder nun ein filmisches Porträt, das den Zuschauer zunächst vor Rätsel stellt.
Knallige Bilder
In "Udo Proksch - Out of Control" legt Dornhelm collageartig Aussagen von Weggefährten, Ausschnitte aus Interviews mit Proksch und Aufnahmen aus dessen dilettantischen Kunstfilmen übereinander, ohne selbst kommentierend einzugreifen.
Von der Bildästhetik her könnte hier ein Zwölfjähriger mit einem Gratisfilmprogramm gearbeitet haben: Grelle Farben im 70er-Jahre-Psychedelikstil als Hintergrundrahmen, Synapsen schwirren durch den Raum, die Köpfe der Interviewpartner schweben, mit fließendem Verlauf rund ausgeschnitten, über Wiener Postkartenmotiven.
Wenn man davon ausgeht, dass Dornhelm mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung so etwas nicht "passiert", muss wohl Absicht dahinterstehen. Möglich, dass der Film formal die unstete Persönlichkeit Prokschs widerspiegeln soll. Bei ihm musste es immer knallen, leise Töne waren nicht seine Sache.
Vom Hilfsarbeiter zum Brillendesigner
Im Verlauf der Dokumentation rückt das filmische Experiment in den Hintergrund - und Prokschs irre Lebensgeschichte sorgt für die nötige Spannung. Nach seiner Lehre und verschiedenen Hilfsarbeiterjobs besuchte der 1934 geborene Proksch die Universität für angewandte Kunst.
Bald schon sollte er als Brillendesigner für Furore sorgen. Eines seiner für Wilhelm Anger entworfenen Modelle wurde 13 Millionen Mal verkauft - für damalige Zeiten eine Sensation. Zusätzlich betrieb Proksch eine Werbeagentur.
Militarist und Kaffeehausphilosoph
1972 hatte er genug Geld beisammen, um das Wiener Traditionscafe Demel zu übernehmen. Hier ging Proksch in seiner Rolle als Charmeur, Vernetzer und Verführer auf. Dem von ihm in den Räumlichkeiten des Lokals gegründeten "Club 45" gehörten Spitzenpolitiker genauso an wie wichtige Unternehmer, Sportler und Künstler.
Proksch hatte Charisma, das den trivialen, polternden Belanglosigkeiten, die er von sich gab, tiefere Bedeutung verlieh. Sein Philosophieren über den Tod - "Ich bin ein Mann zum Sterben" - und über Frauen, deren Überlegenheit gegenüber Männern er in der Kunst der Mutterschaft begründet sah, machten ihn genauso interessant wie sein absurder Militarismus und das künstlerische Gehabe.
Proksch hielt sich für unverwundbar
Man wusste bei ihm nie, was Theaterdonner war und was er ernst meinte. Für Karl Schwarzenberg, tschechischer Ex-Außenminister und ein Bekannter von Proksch, hat der Selbstdarsteller so viele Rollen gespielt, dass er am Ende selbst nicht mehr wusste, wer er war.
Durch sein Netzwerk verschaffte Proksch Bekannten aus dem Umfeld des "Club 45" Vorteile - sie standen in seiner Schuld. An Prominente, auch Politiker, vermietete er Räumlichkeiten für Techtelmechtel, schoss dann aber Erpresserfotos.
Ob Zuckerbrot oder Peitsche: "Am Ende waren ihm alle hörig, schon alleine, um eine Ruhe von ihm zu haben", erzählt Ex-ORF-Chef Thaddäus Podgorski. Proksch kannte keine Grenzen mehr, alles schien ihm möglich. In Wahrheit, sagt seine erste Ehefrau Erika Pluhar, sei er ein Hofnarr geblieben. Er selbst aber hielt sich für unverwundbar.
"Bescheißen" als Devise
Und darum setzte er einen seiner zynischen Leitsätze um: "Wenn man einen bescheißen kann, soll man ihn bescheißen." Das war seine Definition von freier Marktwirtschaft, bar jeder Moral.
1977 charterte Proksch den Frachter "Lucona" und deklarierte als Fracht eine Uranerzmühle, die er mit 200 Millionen Schilling versichern ließ. In Wahrheit soll sich nichts als Schrott auf dem Schiff befunden haben, als es nach einer Explosion im Indischen Ozean versank.
Sechs Mitglieder der Schiffsbesatzung starben. Proksch wurde 1992 zu lebenslanger Haft verurteilt, unter anderem wegen sechsfachen Mordes und schweren Betrugs.
Und er hatte prominente Freunde mit in den "Lucona"-Sumpf gezogen: Leopold Gratz (SPÖ) musste als Nationalratspräsident zurücktreten, Karl Blecha (SPÖ) als Innenminister. Der Präsident des Sozialgerichts, Karlheinz Demel, wurde suspendiert.
Das Magnetfeld wirkt weiter
Letztlich ist Dornhelms Film ein Versuch über die Verführung. Bis heute können sich viele seiner ehemaligen Begleiter nicht dem Magnetfeld Udo Proksch entziehen. Außer dem ehemaligen Staatsanwalt im Prozess und dem Ex-ORF-Generalintendanten Gerd Bacher ("Ein feiger, schäbiger Mord") glaubt kaum einer der Befragten an eine Schuld Prokschs im Fall "Lucona". Warum er sich nicht ordentlich verteidigte, bleibt aber auch für sie ein Rätsel.
Die Dokumentation lebt nicht nur von zahlreichen unterhaltsamen Anekdoten, etwa jener von Prokschs Initiative für das Aufrecht-begraben-Werden, sondern auch von den Zwischentönen.
Seine weiche Seite, sagt Pluhar, habe Proksch viel zu wenig zugelassen. Dornhelm lässt aber auch aus Briefen von Proksch aus der Haft vorlesen - und hier trat ein verletzlicher Mann zutage. Proksch starb 2001 in Haft wegen Komplikationen nach einer Herztransplantation.
Simon Hadler, ORF.at
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