Ausnahmezustand im Kriegsgebiet

Mit riesigen Windmaschinen versetzt Jan Bosse die Zuschauer in ein Kriegsgebiet.
Es ist die Dunkelheit, die den roten Faden in Jan Bosses „Othello"-Neuinszenierung im Wiener Akademietheater darstellt. Das Stück beginnt in kompletter Finsternis und endet düster. Die Haut des "Mohren" Othello ist schwarz wie die Nacht, die Seele von Jago mindestens ebenso.

Doch auch wenn es natürlich Thema ist: Rassismus spielt in dieser Inszenierung ebenso wenig eine tragende Rolle, wie die Politik. Hier geht es um niedere wie ewige menschliche Triebe und Gefühle: Um Liebe, Begehren und vor allem Eifersucht.

"Aus Liebe zu töten ist unnatürlich"
Jago ist wohl eine der finstersten Figuren, die Shakespeare je geschaffen hat. Er täuscht Othello, getrieben von Neid und Hass, indem er ihm den Gedanken einer angeblichen Schuld Desdemonas in den Kopf setzt.

Othellos Wahrnehmung verdreht sich zunehmend, im Intriganten sieht er seinen loyalen Freund, in seinem treuen Leutnant Cassio den Geliebten seiner Frau und in der ihn aufopfernd liebenden Desdemona eine ihn täuschende Hure.

Aufregendes Bühnenbild
Vor einer schwarzen Wellblechwand (Bühnenbild: Stephane Laime) wird das Drama ausgelöst und das Schicksal besiegelt: Man schickt Othello mit seiner frisch (und gegen den Willen ihres Vaters) angetrauten Desdemona ins Kriegsgebiet nach Zypern.

Riesige Windmaschinen im Zuschauerraum bringen die passende Atmosphäre ins Theater. Die Wände brechen ein, Staub wirbelt auf und auf der Bühne bleibt das selten so schöne, pure Chaos zurück: Die ideale Umgebung für das tödliche Spiel - und Szenenapplaus für die Verwandlung.

Neuübersetzung durch Bosse
Anstatt mit einer der bekannten Übersetzungen zu arbeiten, entschied sich Bosse für eine eigene Fassung. Da wirkt nichts gekünstelt oder antiquiert - aber auch nicht provokant modern. Es funktioniert, aber fasziniert nicht, dafür fehlt ein bisschen mehr Haltung und Inspiration.

Erprobte Zusammenarbeit
Der Regisseur schickt mit Joachim Meyerhoff und Edgar Selge zwei starke Kontrahenten auf die Bühne. Das Duo war bereits in Bosses Inszenierungen "Faust" (Hamburg 2005) und "Hamlet" (Zürich 2008) gemeinsam zu sehen, und beide beweisen hier erneut, dass sie einander ebenbürtig sind.

Eleganter schwarzer Panther
Meyerhoff ist ein Alleskönner, das ist bekannt. In dieser Inszenierung darf er einiges davon zeigen: Als "Mohr" am ganzen Körper tief in Theaterschminke getaucht, legt er seinen Othello nicht klischeehaft naiv an, sondern spielt ihn zuerst als präpotenten, selbstsicheren Siegertypen.

Kleine Gesten und wenig Worte benötigt er zu Beginn, um die Rolle zu etablieren. Ausgelöst von der langsamen Zerstörung durch Jago, die gesäte Eifersucht, steigert er sich doch in körperliche Höchstleistungen und schließlich rasende, kopflose Wut.

Teuflischer Intrigenspinner
Als Jago überzeugt Edgar Selge. Mit sich selbst unzufrieden projiziert er den unbändigen Hass auf Othello, und stürzt diesen mit voller Absicht, in eiskalt geplanter Manier, in sein Unglück.

Katharina Lorenz schafft es, wie auch schon als Gretchen in der "Faust"-Inszenierung von Matthias Hartmann, Unschuld und Selbstbewusstsein zu verbinden und damit als Desdemona durch eine starke Bühnenpräsenz zu glänzen.

Weibliche Verstärkung kommt mit Jagos Ehefrau Emilia, gespielt von Caroline Peters. Sie ist wohl eine der stärksten Figuren des Abends, zerbrechlich und zum Teil nur mit ihrer Mimik und Gestik rückt sie sich oft ins Zentrum des Geschehens.

Vom schwarzem Humor zum Ernst
Jan Bosse widmete sich in Wien bisher den Komödien, seine Burgtheater-Produktionen "Viel Lärm um Nichts" und "Wer hat Angst vor Virginia Wolf" waren voll von schwarzem Humor, und wurden von Kritik und Publikum stets hoch gelobt. Mit "Othello" begab er sich ins ernste Fach und beweist, dass er auch hier überzeugen kann.

Sophia Felbermair, ORF.at

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