"Immun gegen nackten Busen"

2008 wurden 227 Beschwerden gegen Kampagnen beim Werberat in Österreich deponiert.
"Sex sells" lautet nicht nur ein vielzitiertes Schlagwort in der Werbeindustrie, sondern ist auch deutlich in den Kampagnen sichtbar. Kate Moss zieht sich für Calvin Klein aus. Die Societyköchin Sarah Wiener posiert als Unterwäschemodel. Auch Benetton setzt auf Waschbrettbäuche und Bikinimodels.

Reiz ohne Inhalt
"Erotik in der Werbung ist Mittel zum Zweck, um Aufmerksamkeit zu erreichen und leichter eine Botschaft zu transportieren", sagte Marketingberater Joe Telebo gegenüber ORF.at. Wie viel Bauch dabei erlaubt ist, sei vom Produkt abhängig.

Sex in der Werbung wirkt aber nicht immer. Der deutsche Werbepsychologe Klaus Moser warnt in der "Süddeutschen" vor der Gefahr, dass durch den Reiz die Botschaft in den Hintergrund rückt und eigentlich niemand mehr weiß, für welches Produkt eigentlich geworben werden soll.

Subtile Doppeldeutigkeit
"Sex sells ist ein weit verbreiteter Irrtum", schlägt Werbepsychologin Angelika Trachtenberg im Interview mit ORF.at in eine ähnliche Kerbe. Vielmehr gehe es um subtile und doppeldeutige Erotik. "Gegen einen nackten Busen sind wir mittlerweile immun."

Auch bei Kampagnen, die mit nackten Körpern etwa für Autoreifen werben, würde das Produkt ignoriert werden, so die Expertin. Bei Werbung für Produkte wie Unterwäsche seien erotische Signale eher mit dem entsprechenden Motiv verbunden - "in der Darstellung werden wünschenswerte Vorbilder transportiert".

Ideale Körper?
In jedem Fall lassen sich Marken mit Erotik emotional aufladen, ist auch Experte Moser überzeugt. In der Werbung zähle aber die Vorbildwirkung - schöne weibliche Körper für die Frauen, starke Männerkörper für männliche Konsumenten. "Dass Werbung Männer und Frauen erotisch aufreizen soll, ist eher selten", glaubt Moser im "SZ"-Interview.

Den Idealkörper für jede Zielgruppe gibt es nicht mehr. Denn einige Kampagnen wie etwa die des Pflegeprodukteherstellers Dove setzen bei ihren Models auf ältere oder "normale", nicht ganz schlanke Frauen. "Diese Kampagne wirkt nicht über die Vorbildfunktion, sondern über die Solidarisierung mit einer emotionalen Bewegung gegen den Schlankheitswahn. Eigentlich hat erst die mediale Kommentierung diese Kampagne erfolgreich gemacht", sagte Trachtenberg.

"Unbewusst wird aber Werbung für eine hautstraffende Bodylotion dennoch positiver aufgenommen, wenn sie über einen knackigen Po transportiert wird", gibt sie im Hinblick auf die Dove-Kampagne zu bedenken.

Vorbildwirkung oder Illusion?
Egal ob das Bild von stärkerer Ähnlichkeit zur Realität oder von der perfekt gestylten Attraktivität vermittelt wird - ohne Illusion kommt Werbung nicht aus, ist Telebo überzeugt.

Entscheidend ist, dass die Models gerade so über der Realität zur Zielgruppe stehen, dass deren Attribute wie erotische Ausstrahlung und Selbstsicherheit realistisch erstrebenswert sind. Trachtenberg: "Das ist eine permanente Gratwanderung."

227 Beschwerden beim Werberat
Immer schwieriger wird es, mit Sex zu provozieren. "Aufregungen von früher sind heute keine mehr. Medien nehmen dabei eine entscheidende Rolle ein, was erlaubt und was verboten ist", so Trachtenberg.

Sexistische und sexuell anstößige Darstellungen in der Werbung sind aber weiterhin die häufigsten Gründe für Beschwerden, die beim Österreichischen Werberat (ÖWR) eingehen. 2008 wurden dort insgesamt 227 Beanstandungen deponiert, vier Kampagnen wurden daraufhin gestoppt.

Die Beschwerden wegen sexistischer und sexuell anstößiger Darstellungen nahmen im Vergleich zum Vorjahr zu, hieß es aus dem ÖWR gegenüber ORF.at. Im Vergleich zu 2005, wo mehr als 470 Beschwerden an den Werberat gerichtet wurden, ist allerdings insgesamt ein Rückgang zu verzeichnen.

Auch Moser ist überzeugt, dass es vor zehn bis fünfzehn Jahren mehr Provokation in der Werbung gab. Mit jungen, freizügigen Models rufe man heute keine Aufregung mehr hervor.

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