Vieles erinnert an früher

Zukünftige Nutzung weiter offen.
Es ist seltsam anzusehen, dass vom DDR-Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, nur eine Toilette geblieben ist. Unweigerlich bleibt der Blick am Modell Clean Concept hängen, einem Westprodukt aus Gersthofen bei Augsburg mit selbstreinigender Brille.

Zu Beginn der 80er Jahre muss das eine teure Hygieneneuheit gewesen sein. Sonst zeugt keine Spur vom langjährigen Minister der DDR-Staatssicherheit in seinem geheimen Büro im Haus 18, dem größten Gebäudeklotz auf dem ehemaligen Berliner Stasi-Gelände Ecke Normannenstraße/Ruschestraße.

"Tod dem Stasi-Pack"
Vielleicht hätte sich niemand mehr für Mielkes Clean Concept interessiert, wenn Berliner Projektentwickler Haus 18 nicht als mögliche "Event-Location" entdeckt hätten. Zusammen mit seiner Geschichte, die sich vor 20 Jahren zum Topthema in den deutschen Nachrichten entwickelte.

Haus 18 war jenes riesige Gebäude, in das wütende DDR-Bürger am 15. Jänner 1990 zuerst stürmten, als sie die Berliner Stasi-Zentrale besetzten. Hier zerfledderten sie die ersten Akten, warfen Honecker-Bilder aus den Fenstern, traten Türen ein und sprühten "Tod dem Stasi-Pack" an die Wände.

Wut und Staunen über Luxus
Es waren Gefühle zwischen Wut und Staunen: über den Kantinensaal mit Räucheraal und Krabben auf dem Speiseplan, über Vorratsräume voller Dosen mit Haifischflossensuppe, über den eleganten Festsaal, das noble Konferenzzentrum und den Frisiersalon mit Shampoo aus dem Westen. Für DDR-Verhältnisse war das ein Luxusbau.

Museum im Mielke-Büro
Bis heute sticht Haus 18 als Klotz aus den frühen 1980er Jahren aus diesem seltsam verbauten, graugesichtigen Viertel hervor, in das sich außer dem Finanzamt und einer Würstchenbude kaum jemand vorgewagt hat. Die Bahn, die große Teile des Geländes nach der Wende kaufte, zieht wieder aus.

An die Vergangenheit erinnert nur noch das Stasi-Museum in Haus 1, das Mielkes offizielles Büro im Originalzustand bewahrt hat. Zu sehen sind sonst noch Wanzen, Armbanduhren mit Mikro und Kameras in der Krawatte. Das Museum macht den Eindruck, als ob alle Fortschritte der Ausstellungspädagogik einen weiten Bogen um es geschlagen haben.

Gespenstische Leere
In dieser Umgebung verwundert es, wenn Projektentwickler Frank Bochon zu schwärmen beginnt. Von dem Potenzial, welches das Haus 18 und das Gelände böten, als Veranstaltungsort für 5.000 Menschen, vielleicht mit gewölbtem Glasdach samt Panoramablick.

Von Stil und Ausstattung her nennt Bochon Haus 18 die "kleine Schwester des Palasts der Republik". Fünf Etagen, 25.000 Quadratmeter Nutzfläche, konservierter DDR-Charme. Es schreckt ihn nicht, dass die letzte große Idee als "Lichtenberger Congress Centrum" 1999 aufgegeben wurde. Seitdem steht der Riesenbau gespenstisch leer.

"Perfekter DDR-Stil"
Für Besucher, die nie etwas mit der Stasi zu tun hatten, gleicht eine Führung durch dieses Gebäude heute einem Abenteuerspaziergang. Filmteams drehen hier, weil das DDR-Set so perfekt ist. Im riesigen Festsaal, in dem Mielke seinen 80. Geburtstag feierte, schimmert das Licht durch Mosaikfenster aus einem Magdeburg Glaskunstbetrieb.

Die feine Holztäfelung des VEB Intercor versprüht in Besprechungsräumen späte DDR-Eleganz. Im Kino- und Kongresssaal blicken Besucher auf 541 braun-beige gepolsterte Sitze mit Simultan-Übersetzungsanlage. Die Waschräume zieren Mosaikfliesen in Himmelblau und Orange.

"Leichenfledderei" unterbunden
Gastronomen und Hoteliers, die "Ostalgie" zu ihrem Geschäft gemacht haben, hätten hier liebend gern Waschbecken und Pissoirs abgeschraubt und die DDR-Klobürsten mitgenommen. Doch Bochon hat energisch Einhalt geboten. Er ist der Meinung, dass dieses Interieur Schutz verdient. Bochon, Anfang 40, ist weder "Ostalgiker" noch einer dieser Ewiggestrigen. "Ich fand es aber falsch, den Palast der Republik abzureißen", betont er.

Der Palast war für ihn ein Stück DDR-Architektur. Parallelen zu ihm gibt es in Haus 18. Hier finden sich die gleichen braungetönten Schichtglasscheiben, großzügigen Säle und technischen Raffinessen wie die riesige Klimaanlage im Keller. Ein Gastronom wollte zwischen die blauen Stahlröhren eine Bar bauen. Bochon fand die Idee nicht schlecht.

Zerfall seit Herbst 1989
Historiker Walter Süß, der heute für die Birthler-Behörde arbeitet, war am 15. Jänner 1990 Reporter für die "taz" und stand am Abend vor dem martialischen Rolltor zum Stasi-Gelände an der Ruschestraße. Er kam an, als ein Volkspolizist das Metalltor auf Anweisung eines Pfarrers schon geöffnet hatte. Im nahen Haus 18 entlud sich gerade die erste Wut der aufgebrachten Demonstranten. Die kontrollierte Welt der Staatssicherheit war auf den Kopf gestellt.

Doch ihr Zerfallsprozess begann nicht erst an diesem Abend, sondern schon im Herbst 1989. Die SED-PDS ließ ihren Geheimdienst, seit 1952 "Schild und Schwert" der Partei, unter dem wachsenden Druck der Straße bis Mitte Jänner 1990 fallen wie eine heiße Kartoffel, um die DDR und damit die eigene Haut zu retten. Zu dieser Zeit demonstrierten sie in Leipzig schon für die Wiedervereinigung.

So mancher Akt verschwand
Viele Erinnerungen an den 15. Jänner 1990 sind heute noch emotional. "Ein Stück Triumphgefühl war das damals", erinnert sich Historiker Süß. In seinen Augen war der Sturm auf die Stasi-Zentrale ein Verdienst der Bürgerbewegung, die für etwas sorgte, das es nach dem Ende des Kalten Krieges in keinem anderen Ostblock-Staat so schnell gab: die Öffnung der Geheimdienstarchive und Akteneinsicht.

Was im Rückblick nicht blieb, war der ungeteilte Einfluss der Bürgerbewegung auf die Stasi-Auflösung. Die Macht darüber übernahm schon Anfang Februar 1990 ein eigenes Komitee, dem auch hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter angehörten, und im Frühjahr 1990 ein Sonderausschuss der neu gewählten Volkskammer. Zwei deutsche Innenminister machten ihre Interessen geltend. Bis im August 1990 das Gesetz über die Akteneinsicht stand, verschwand so mancher Stasi-Akt.

Enorme Zahlen
Was war sie, diese Stasi, die bis heute ihre langen Schatten wirft, zuletzt auf die Vergangenheit von Linken-Abgeordneten im Brandenburger Landtag? Geblieben sind von ihr vor allem Zahlen aus dem Herbst 1989: 91.000 hauptamtliche Mitarbeiter, 109.000 Inoffizielle Mitarbeiter, 124.593 Pistolen, 76.592 Maschinenpistolen und Gewehre, 3.735 Panzerbüchsen.

Buchautor Christian Halbrock hat für die Birthler-Behörde ausgerechnet, dass auf 180 DDR-Bürger ein hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter kam. Zwischen 1952 und 1988 sammelte die Staatssicherheit Informationen über mehr als eine Millionen Landsleute und leitete Ermittlungsverfahren gegen 110.000 Menschen ein. In ihrem Visier waren alle, die von den Normen des SED-Staates abzuweichen schienen.

Allein in Berlin sind 80 Regalkilometer Spitzelakten geblieben. Das Interesse daran ist ungebrochen. Rund 2,6 Millionen Menschen haben bisher einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt.

Millionen für Sanierung nötig
Der Rundgang mit Bochon durch Haus 18 führt noch vorbei am kleinen Filmsaal, in dem hinter abhörsicheren Wänden noch immer tschechische Vorführapparate stehen. Schulungsfilme sind dort früher gelaufen. Einer zeigte, wie man Auffahrunfälle inszenierte, um Flüchtlingsverstecken in Pkw-Kofferräumen auf die Spur zu kommen. Es ist schwer, sich Haus 18 als "Event-Location" vorzustellen.

Das liegt nicht nur an der Vergangenheit. Das Gebäude ist so sanierungsbedürftig, dass einige Millionen Euro nicht reichen dürften, um es wieder in Schuss zu bringen. Den Kauf des Stasi-Klotzes wollen sich die Projektentwickler deshalb genau überlegen.

Ulrike von Leszczynski, dpa

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