Einige prognostizierten dem 71-Millionen-Einwohner-Land sogar, bis 2050 die 100-Millionen-Marke zu überschreiten. Damit ist es jetzt aber offenbar vorbei.
Geburtenrate sinkt kontinuierlich
Bekam eine türkische Frau 1970 im Schnitt fünf Kinder, sank die Geburtenrate bis 1993 bereits auf 3,5 Kinder. Zwischen 1995 und 2000 wurden in der traditionell kinderreichen Türkei noch durchschnittlich 2,7 Kinder pro Frau geboren.
Mittlerweile ist die Rate auf 2,2 Kinder gesunken. Bleibt dieser Trend erhalten, wird die Bevölkerung ab 2030 sogar schrumpfen. Die Regierung rechnet derzeit für 2050 noch mit 88 Millionen Einwohnern.
Schülerzahlen bereits zurückgegangen
Erziehungsministerin Nimet Cubukcu machte mit einer aktuellen Studie auf die zurückgehende Motivation aufmerksam, Kinder zu bekommen. Bereits in den vergangenen Jahren sei die Schülerzahl um 70.000 bis 80.000 pro Jahr gesunken.
"Wenn es so weitergeht, müssen wir viele schließen", sagte die Ministerin gegenüber der türkischen Zeitung "Aksam". Zusätzlich erschwert werde die Situation durch die große Abwanderung aus ländlichen Regionen.
OECD-Spitzenreiter Türkei
Die Anzeichen machten sich schleichend bemerkbar. Europäische Vergleichsstudien stellen der Türkei und ihrer Geburtenrate immer noch ein gutes Zeugnis aus. So überflügelte das Land in einem OECD-Vergleich 2007 mit einer Geburtenrate von 2,19 Kindern den europäischen Spitzenreiter Island (2007: 2,05 Kinder pro Frau; 2009: 2,14) und lag weit über dem OECD-Schnitt von 1,63.
Erdogan will drei Kinder pro Familie
Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hatte aber schon 2008 Alarm geschlagen und die Bevölkerung zum Kinderkriegen ermuntert. Jede Familie solle mindestens drei Kinder zur Welt bringen, sagte Erdogan, der selbst vier Kinder hat.
Nur so könne die Türkei ein junges Land bleiben, so der Ministerpräsident. Ansonsten drohe ihr ab 2030 ein Überalterungsproblem - und Erdogan würde ein schlagkräftiges Argument für den EU-Beitritt der Türkei verlieren.
Für seine Forderungen musste der Regierungschef jedoch heftige Kritik von Frauenverbänden einstecken. Sie bezeichneten Erdogans Aussagen als "Skandal".
Mangelnde Gleichstellung von Frauen
Während die Geburtenrate von Island und der Türkei nahezu gleichauf liegt, ist der Unterschied bei der Gleichstellung von Frauen enorm. In einem Vergleich von 134 Ländern, den der "Global Gender Gap Report 2009" durchführte, nimmt Island den ersten Platz ein.
Die Türkei dagegen befindet sich noch hinter dem Iran an 129. Stelle. Mängel bei der Gleichberechtigung der Geschlechter werden auch bei der Annäherung an die EU immer wieder kritisiert.
Prominente sollen Vorbilder sein
Während die Altherrenriege in Erdogans konservative Regierungspartei AKP für Kinderreichtum sorgt - Staatspräsident Abdullah Gül etwa hat wie Erdogan drei Kinder -, stellen sich die weiblichen Regierungsmitglieder gegen den traditionellen Kinderreichtum.
Erziehungsministerin Cubukcu schloss sich zwar den Warnungen Erdogans an und forderte Prominente auf, "Vorbilder" für die Verbindung von Kind und Beruf zu sein. Sie selbst hat aber nur ein einziges Kind.
Mehr Wohlstand, weniger Kinder
Die Entwicklung, die sich nun in der Türkei bemerkbar macht, durchlaufen die westlichen Industriestaaten bereits seit längerem. Mit zunehmendem Reichtum werden weniger Kinder geboren, stellten US-Wissenschaftler in einer Langzeitstudie zwischen 1975 und 2005 in 24 Ländern fest.
Arbeiten in der Stadt, Abwanderung aus ländlichen Gebieten - Kinder kommen in dieser Lebensplanung immer weniger vor.
"Wenn der Wohlstand steigt, fällt die Geburtenrate", bestätigte Tarhan Erdem, Leiter des Istanbuler Statistik- und Meinungsforschungsunternehmens Konda, der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ"). Und auch wenn die Finanzkrise den vergleichsweise starken Wachstumsraten der Wirtschaft zwischen fünf und neun Prozent in den vergangenen Jahren ein Ende setzte, holt die Türkei im europäischen Vergleich stark auf.
Trend dreht sich
Die US-Wissenschaftler geben in ihrer Studie im Fachmagazin "Nature" aber leichte Entwarnung. Die Angst mancher Länder vor Überalterung oder gar dem Aussterben der eigenen Bevölkerung sei unbegründet. Denn sobald ein bestimmtes Maß an ökonomischer Entwicklung erreicht werde, drehe sich der Trend um, sind die Wissenschaftler überzeugt.
In den USA und den Niederlanden steige die Geburtenrate bereits wieder leicht an. Dennoch sei in den meisten Staaten nicht zu erwarten, dass die Geburtenrate so stark steige, dass sie ein Schrumpfen der Bevölkerung verhindert.
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