Ein Morddrama um die Krone
In "Richard II." ist das zentrale Motiv die Macht. Es geht um Machterhalt und -verlust, um die Legitimation und Illusion von Macht. Und neben all den politischen Dimensionen ist das Stück auch die persönliche Tragödie des charakterschwachen Königs.
Richard, König von England, hat sein Land heruntergewirtschaftet und die Staatsfinanzen nicht im Griff. Er bringt seinen Cousin Bolingbroke gegen sich auf, indem er ihn verbannt und enteignet. Aus Rache dafür zettelt Bolingbroke einen Bürgerkrieg an und reißt schließlich die englische Krone an sich. Richard wird im Kerker ermordet.
Was macht die Macht?
Der Schwerpunkt dieser Produktion liegt auf dem Opportunismus und der Korruption im Dunstkreis der Mächtigen. Dass die Politik durchzogen ist von zynischen Heuchlern und Wendehälsen, die sich gegenseitig verraten und verkaufen, ist eine sehr zeitlose und verständliche Botschaft, die Regisseur Peymann und Übersetzer Thomas Brasch dem Zuschauer vermitteln. Zeitweise fliegen nur so die Fehdehandschuhe kreuz und quer über die Bühne.
Starker Text mit Witz und Tiefgang
Der 2004 verstorbene Brasch hat mit seiner Fassung von "Richard II." viel mehr geschaffen als eine bloße Übersetzung. Der stark gekürzte Text trifft einen zeitgemäßen Ton, ohne dass die Poesie auf der Strecke bleibt, und betont den hintergründigen Humor.
Die Schauspieler wissen auch damit umzugehen, körpersprachlich und textlich bieten sie neben starken Einzelleistungen ein bemerkenswertes Zusammenspiel.
Bei 25 Rollen kam Peymann mit einem zwölfköpfigen Ensemble aus: Ein Großteil des hochkarätigen Personals steht in wechselnden Rollen auf der Bühne, so auch Maria Happel, Martin Schwab, Gerrit Jansen und Johannes Krisch.
Maertens in Bestform
Von einem vergnügungssüchtigen, gedankenarm wirkenden Monarchen zu Beginn verwandelt sich Richard im Lauf des Stücks in einen philosophierenden, traurigen Clown. Er ist der Kommentator seines Schicksals, sehenden Auges ergibt er sich kampflos dem selbst verschuldeten Machtverlust und schließlich dem Tod.
Michael Maertens, der in dieser Theatersaison damit bereits in der vierten Titelrolle am Burgtheater zu sehen ist, verdeutlicht gekonnt diesen Sturz mit großer Fallhöhe.
Mörderische Verwandschaften
Den Gegenpart gibt Veit Schubert in der Rolle des fiesen, glatzköpfigen Cousins Bolingbroke.
Manfred Karge kommt eine bei Shakespeare anders vorgesehene Rolle zu: Er wird als Herzog von York in der Brasch-Version zum Mörder Richards, den er vorher verraten hat. Als Schlüsselfigur wird er hier zum Paradebeispiel eines Wendehalses und Speichelleckers, der mit vorauseilendem und überambitioniertem Gehorsam sogar den eigenen Sohn (Markus Meyer als Aumerle) beim König denunziert.
Dorothee Hartinger bezaubert als nervenschwache und zur Ohnmacht neigende Königin Isabel im puppenhaften Prinzessinnenoutfit.
Schwarz-Weiß-Malerei in der Ausstattung
Wie das Bühnenbild sind auch die Kostüme (Maria-Elena Amos) zeitlos und in Schwarz-Weiß gehalten. Richard und seine weniger werdenden Gefolgsleute erscheinen in (wohl gar nicht so unschuldigem) Weiß, Bolingbroke und seine Anhänger in Schwarz gekleidet.
In Kombination mit Buster-Keaton-artigen Clowngesichtern bietet sich so eine durchgängige und klare Ästhetik.
Mit Dreck beworfen
Achim Freyers Bühnenbild ist einfach, aber gut. Die drei hohen weißen Wände aus quadratischen Elementen erinnern zu Beginn an sterile Kacheln, die sich zu Türen, Fenstern und Zinnen öffnen und schließen.
Im zweiten Teil wird mit Erde und Müll geworfen, zunehmend verschlammt die Bühne, verschmieren die Wände. So versinnbildlicht sich dann auch wieder der Sumpf des Opportunismus am königlichen Hof und im ganzen Land.
Jubel für Ensemble und Regie
Das Publikum am Premierenabend war begeistert. Nach mehrmaligem Szenenapplaus - hervorgerufen unter anderem durch (für Tragödien doch seltene) Slapstickeinlagen mit Gartenschlauch und Scheibtruhe - folgte zum Abschluss anhaltend-frenetischer Schlussapplaus für das gesamte Ensemble. Und für einen sichtlich erfreuten Regisseur Peymann.
Sophia Felbermair, ORF.at
Links:
- Burgtheater
- Berliner Ensemble
- Richard II. (Wikipedia)