Jung, blond, hübsch, Pop

Ellie Goulding, der Star des Jahres 2010 - wenn es nach der BBC geht.
Es ist ein merkwürdiges Ritual: Immer im Jänner wählt eine handverlesene und dennoch umfangreiche Jury für die britische BBC die möglichen Pop-Newcomer des angebrochenen Jahres. Wer ist auf dem Sprung zum Star?

Oft liegen die Juroren richtig - was aber wenig verwundert. Denn je mehr die Fachwelt auf das Voting aufmerksam wurde, desto mehr Aufmerksamkeit wurde auch den jeweiligen Gewinnern zuteil. Mit der Liste tippt die BBC nun nicht länger darauf, wer groß herauskommen könnte - sie kündigt an, wer groß herauskommen wird, ein wenig im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Abgehakt, weil langweilig?
In der Vergangenheit wurden auf diese Weise die Karrieren von Little Boots, Mika, Duffy und Florence and the Machine auf den Weg gebracht. Heuer wird die Ehre Ellie Goulding zuteil, sie ist die Newcomerin des Jahres 2010.

22 Jahre alt; blond; hübsch; Pop: abgehakt, weil langweilig, möchte man im ersten Moment meinen. Aber ein zweiter Blick lohnt sich. Denn die Britin gehört zu jener Generation junger Songwriter, die geschichtsbewusst sind, aber keinen Wert auf Zuordenbarkeit legen.

Zahlreiche Einflüsse
Die BBC nennt den Stil Gouldings "Folkotronica", weil sie vor allem an zwei Strömungen anschließt: den New Weird Folk von Sängern wie Bill Callahan und Devendra Banhart einerseits und die aktuelle Renaissance des Discosounds, in der die Entwicklungen der elektronischen Musik der letzten 25 Jahre mitgedacht werden, von frühem Techno über Drum 'n' Bass bis Dubstep. Gesanglich schwingt auch Soul mit.

Begonnen hat Goulding als klassische Singer-Songwriterin. Während ihres Theaterwissenschaftsstudiums in Canterbury (Kent) schloss sie sich jedoch mit dem Elektropopper Frankmusik und dem Remixer Starsmith (Katy Perry, Little Boots) zusammen. Auf MySpace hatte sie bald eine große Anhängerschaft, bei den Brit Awards erhielt sie den Kritikerpreis, in den UK-Charts rangierte die erste Single-Auskoppelung aus ihrem neuen Album unter den Top 15.

Zwischen Mouskouri und ABBA
Auch optisch präsentiert sich Goulding als Hybridwesen. Manchmal tritt sie mit braunen Haaren und Nana-Mouskouri-Brille auf, dann wieder sieht man sie mit blonder ABBA-Föhnwelle, etwa im Video zum discolastigen "Under the Sheets", das die BBC auf ihrer Website präsentiert.

Im Interview freut sich Goulding über die unerwartete Ehre, die ihr zuteilwird, und sie zollt auch den anderen Anwärtern für den Newcomer-Titel Respekt: "Ich glaube, wir sind an jenem Punkt angelangt, an dem Bands versuchen, in die Zukunft zu investieren und einen neuen Sound zu schaffen."

"You're not the answer"
Sie selbst sieht sich gerne in diesem größeren Zusammenhang: "So sehr ich ältere Musik respektiere, schaue ich auch nach vorne und ich glaube, dass viele andere Bands und Künstler dasselbe tun." Das hat wohl noch jede Generation von Musikern von sich gedacht.

Den Aufbruch zu neuen Ufern thematisiert sie jedenfalls auch in ihren Texten. Wenn sie in "Under the Sheets" etwa singt "Your're not the answer, I should know, like all the boys before", dann kann das durchaus als Ausbruch aus pubertären Beziehungsmustern gelesen werden und als Schritt zum Erwachsenwerden.

Trotz und Trauer
Goulding beweist zudem einmal mehr, dass auch die jüngste Generation an Musikern viel Wert auf Querverweise und Kooperationen legt. So coverte sie von Bon Iver, die mit ihren eingängigen New-Folk-Liedern seit zwei Jahren für Aufregung sorgen, den Song "Wolves".

Nach Post-Punk, Post-Rock und New Folk schließen sich Künstlerinnen wie Ellie Goulding einer neuen Welle des Post-Pop an, in der alles erlaubt ist: Gefühl, eingängige Melodien, Querdenken, Tanzen, Klatschen, Chorgesang, Trotz und Trauer.

Die Plätze zwei und drei
Hier lassen sich auch Marina and the Diamonds einordnen, die Goulding auf Platz zwei der BBC-Liste folgen. Ihr Gesangsstil erinnert etwas an die Dresden Dolls.

Auf Platz drei finden sich die Delphics, die ihre Musik als Mischung aus Soul- und Elektronikelementen beschreiben. Auch sie beanspruchen für sich: "Wir bringen Elektronik mit gefühlvollem Songwriting zusammen."

Simon Hadler, ORF.at

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