Denn Camus hatte sich nach dem Erhalt des Nobelpreises 1957 den Traum seines Lebens erfüllt: ein Haus auf dem Land, in Lourmarin. Über Weihnachten 1959 besuchte ihn seine Frau Francine mit ihren gemeinsamen Zwillingskindern. Silvester feierte die Familie mit den Verlegerfreunden Michel und Janine Gallimard, wie die Literaturkritikerin Iris Radisch in der "Zeit" rekapituliert.
Ein Reifen platzte
Drei Tage nach Neujahr hätte Camus mit dem Zug nach Paris fahren sollen, das Ticket hatte er schon in der Tasche. Weil Gallimard aber einen neuen Sportwagen hatte, entschied sich der Schriftsteller, samt seiner Frau dem befreundeten Paar auf dem Weg nach Paris im Auto Gesellschaft zu leisten.
Camus saß auf dem Beifahrersitz, die Frauen hinten, als ein Reifen platzte, der Wagen von der Straße abkam und schließlich gegen einen Baum prallte. Die beiden Frauen überlebten beinahe unverletzt, Michel Gallimard starb zehn Tage nach dem Unfall, Camus war sofort tot.
Philosophie der Revolte
Zu diesem Zeitpunkt war sein Werk längst unsterblich geworden. Die Frage nach dem Sinn des Daseins machte ihn zu einem Philosophen der Absurdität und der Revolte und seine Auflehnung gegen die Sinnlosigkeit der Welt zu einem Nonkonformisten, der heute noch Millionen Anhänger hat.
Darunter Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der kürzlich vorschlug, das Grab des Schriftstellers anlässlich seines 50. Todestages in den Pariser Ruhmestempel Pantheon zu überführen.
Nobelpreis - nur wegen des Geldes
Camus entzog sich zeitlebens jeglicher Unterordnung und Ehrungen, deshalb erregte der Vorschlag des französischen Präsidenten auch heftige Kritik. "Er mochte keine Ehrungen. Den Literaturnobelpreis im Jahr 1957 hat er nur aus finanziellen Gründen angenommen", erklärte seine Tochter Catherine, die Anfang Dezember 2009 ein Buch über ihren Vater veröffentlichte.
"Einsam und solidarisch"
Der Titel "Solitaire et solidaire" (etwa: "Einsam und solidarisch") spricht zwei wesentliche Seiten ihres Vaters an, die Camus zu einem Außenseiter unter Frankreichs Intellektuellen abstempelten.
Camus war ein politisch denkender Zeitgenosse, der Lagerdenken und Ideologien ablehnte. Er verabscheute Gewalt, auch zur Durchsetzung politischer Ziele. Er kritisierte den deutschen und spanischen Faschismus ebenso wie die Lager in Stalins Sowjetunion.
Als Chefredakteur der zunächst illegalen Widerstandszeitung "Combat" verurteilte er den Atombombenabwurf der Amerikaner über Hiroshima und die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 durch die Sowjets. Wegen seines besonnenen Humanismus und seiner anti-kolonialen Position im Algerien-Krieg wurde er schließlich aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen.
Camus' "Rot-Kreuz-Moral"
Sein Kommunismus-kritischer Essay "Der Mensch in der Revolte" ließ ihn für die Linke endgültig zum abtrünnigen Reaktionär werden und führte zum Bruch der freundschaftlichen und intellektuellen Beziehung mit Jean-Paul Sartre und vielen ehemaligen Freunden.
Was Sartre und viele andere als "Rot-Kreuz-Moral" und "Republik der schönen Seelen" verspotteten, bildete die Grundlage für Camus Existenzialphilosophie, die die Unverletzbarkeit der menschlichen Person würdigt und die Möglichkeit vorsieht, das absurde Leben zu verbessern, indem der Mensch sein Schicksal in die Hand nimmt und nicht blind vorgefertigten Doktrinen folgt.
Im Privaten rücksichtslos
Camus war das, was man einen "Beau" nennt, ein gut aussehender Mann, der in seinem Trenchcoat und der Zigarette im rechten Mundwinkel an Humphrey Bogart erinnerte. "Er sah einfach toll aus", erzählt seine Tochter Catherine.
In ihrem Buch veröffentlicht sie zahlreiche Fotos ihres Vaters und ihrer Familie, darunter auch Bilder der Schauspielerin Maria Casares, der wichtigsten seiner zahlreichen Geliebten. Camus war ein Frauenheld, dem sein Leben lang zwei Frauen zur Seite standen: Francine, die Mutter seiner beiden Kinder, und Maria. Wenig verwunderlich, dass Francine schwer depressiv war.
Die Spuren des Lebens
"Er sprach zu oft vom Glück, als dass er oft glücklich und heiter gewesen sein könnte - Leid, seelischer Schmerz und Trennungen hinterließen Spuren", schrieb sein Biograf Olivier Todd. Camus stammte aus armen Verhältnissen.
Er wurde 1913 im algerischen Mondovi als Sohn eines Kellerei-Angestellten und einer Putzfrau spanischen Ursprungs geboren, die weder lesen noch schreiben konnte. Sein Vater starb ein Jahr nach seiner Geburt im Ersten Weltkrieg. Zwei Ausnahmelehrer waren es, schreibt Iris Radisch, die Camus auf den Weg zum Schriftsteller brachten.
Die Zerrissenheit des Menschen
Camus wurde 1957 für sein nicht sehr umfangreiches literarisch-philosophisches Werk, zu dem im Wesentlichen "Der Fremde", "Die Pest", "Der Fall", "Der Mensch in der Revolte" und "Der Mythos des Sisyphos" gehören, mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Seine Werke handeln von der Suche nach dem Sinn des Lebens und der inneren Zerrissenheit des Menschen. Als Kulisse dient häufig die algerische und mediterrane Landschaft, die ihm sehr viel bedeutete. Doch keines der Werke bezeichnete er als autobiografisch.
"Die Werke eines Menschen widerspiegeln oft die Geschichte seiner Sehnsüchte oder seiner Versuchungen, doch fast nie seine eigene Geschichte", sagte Camus.
"Killing an Arab"
Der Schriftsteller hinterließ seine Spuren tief im Denken der Menschen, bis weit hinein in die Populärkultur. Generationen von Jugendlichen lasen seine Werke seit seinem Ableben. Die Kultband The Cure etwa ließ sich 1978 von "Der Fremde" zu ihrem legendären Song "Killing an Arab" inspirieren.
Camus Botschaft, wenn man so will, wirkt bis heute weiter: Man kann die Tragik und Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins begreifen, ohne an ihr zu verzweifeln. Die Herausforderungen des Lebens müssen angenommen werden. In seinen "Betrachtungen zur Todesstrafe" schrieb Camus:
"Die Angst vor dem Tod ist eine unbestreitbare Tatsache. Aber ebenso unbestreitbar ist, dass diese Angst, und mag sie noch so groß sein, noch nie stark genug war, um die Leidenschaft der Menschen einzudämmen."
Buchhinweis:
Catherine Camus, Marcelle Mahasela: Albert Camus: Solitaire et solidaire. Michel Lafon, 206 Seiten, 39,90 Euro (Amazon Frankreich, ohne Versandgebühr).
Links:
- "Zeit"-Artikel
- Albert Camus (Wikipedia)