Erschien zum Jahresbeginn die kuriose Textsammlung "Meine Preise", die Bernhards Notizen zu zahlreichen Preisverleihungen und den Niederungen der heimischen Kulturpolitik zugänglich machte, so ist nun zum Ende des Jahres verspätet der Briefwechsel Bernhards mit seinem Verleger Siegfried Unseld öffentlich - und wohl auch öffentlichkeitswirksam - dokumentiert.
"Monument der Kultur"
"Noch in hundert Jahren, wenn die österreichischen Gletscher längst in der Nordsee verschwommen sind, werden unsere Kindeskinder noch immer staunend vor diesem Monument deutscher Kulturgeschichte stehen", schrieb die "Frankfurter Rundschau" zu dem Briefwechsel, und fast fragt man sich, woran sich der Rezensent - bei aller Ironie - da so sehr berauscht.
Denn so kurios der Briefwechsel zwischen dem Autor und seinem Verleger anmuten mag: Bernhard ist bei Suhrkamp am Ende doch kein Einzelfall unter den schwierigen Autoren, denkt man an andere Große wie Wolfgang Koeppen, Peter Weiss oder den nicht minder schwierigen Uwe Johnson.
Doch wie kein anderer stand Bernhard in der Mitte öffentlicher Auseinandersetzungen, und da nutzten offenbar auch die mahnenden Worte des Suhrkampf-Chefs Unseld schon zu Beginn der literarischen Karriere Bernhards wenig, der Autor möge doch bitte nicht persönlich in Auseinandersetzungen im Feuilleton und zu Bernhard-bezogenen Buchbesprechungen eingreifen.
Bernhards Selbstschutz-Kanonade
Wer bereit ist, sich auf diesen Briefwechsel einzulassen, der wird weniger die kuriosen Phasen dieser Autor-Verleger-Freundschaft zu schätzen wissen als an jenen Stellen hängen bleiben, die einen fragilen Schrifsteller zeigen, der gerade aus eigener Verletzlichkeit immer wieder über das Ziel schießt und Verletzungen und Selbstüberschätzungen als Schutzkanonade austeilt.
"Ich gehe den Alleingang"
Bernhard war eigentlich durch Zufall betreuter Autor von Unseld geworden. Sein Romanerstling "Frost" erschien beim Insel Verlag, der wenig später im Suhrkamp-Kosmos aufgehen sollte. Ein erster Brief Bernhards an Unseld ("Ich kenne Sie nicht, nur ein paar Leute, die Sie kennen. Aber ich gehe den Alleingang") blieb vom Nachfolger Peter Suhrkamps unbeantwortet.
Das verbindende Glied zwischen Schrifsteller und Verleger war zunächst Bernhards Lektorin Anneliese Botond, deren "Übersetzungsleistung" zwischen dem jungen Autor und dem Verleger nicht zu unterschätzen ist. Sie hat gerade zu Beginn eine Deutungshoheit beim Autor über den Kommunikationsprozess mit dem Verlag.
Sie wird Bernhard zunächst erläutern, wie er bestimmte Vorgänge einzuordnen habe.
Eine langsame Annäherung ist zwischen Bernhard und Unseld ablesbar. Am Anfang ist man sehr reserviert: Bernhard schreibt an den "Verehrten Herrn Dr. Unseld", Unseld an den "Verehrten Herrn Bernhard". Später wird man einander mit dem ganzen Namen anreden: "Lieber Thomas Bernhard", "lieber Siegfried Unseld" - mit diesen Floskeln kommunizieren Männer, die sich ihre Nähe nie direkt eingestehen können und auch die Hürde des Du nicht nehmen.
Kaufmann und Künstler
Das hat seinen Grund. Unseld ist der Kaufmann, der eine schwierige Natur wie Bernhard bei Laune halten und zugleich disziplinieren muss.
Und Bernhard ist jene Form von Künstler, der am Ende, selbst in der Phase großen Ruhmes, nie aus der Opferrolle herausfindet.
Unseld - Bernhard, das ist ein dauerhafter Prozess von Annäherung und Abstoßung - Letzteres vor allem durch den Autor, der immer wieder die weitere Veröffentlichung seines Werkes stoppen möchte und mitunter mehr als ein PS braucht, um sich Luft zu verschaffen:
"P.S.: Und für was für einen jämmerlichen Schreiberling halten Sie mich?", fragt Bernhard am 11. Juli 1967, um drei weitere "P.S."
nachzulegen: "P.S. 1: Es ist mir auch im Augenblick alles wurscht, wie Sie sich jetzt verhalten mögen. Es ist alles zu lächerlich. P.S. 2: Und wenn Sie an die verschiedenen Literaturpreise denken, muss ich Ihnen doch einmal sagen, dass mich mein Spitalsaufenthalt S 60.000,- gekostet hat. P.S. 3: Ich wünsche keinen Sentimentalismus."
Briefe als Fortsetzung des Werks?
Gerne möchte man die Briefe als logische Fortsetzung des Bernhard'schen Werks sehen, und möglicherweise entkommt gerade der Dichter der personalen Selbststilisierung mit Rückgriff auf das Werk nicht. Umso mehr sieht es Unseld als seine Aufgabe, den Autor zurück in die Wirklichkeit zu holen, das Werk zu loben, den Briefwechsel aber eben nicht zur Verlängerung des Werks geraten zu lassen.
Unseld, selbst kein Mann eines kleines Egos, ist bereit, Konflikte so gut es geht zu entschärfen, um an den Wirklichkeitssinn des Schriftstellers zu appellieren, etwa wenn sich Bernhard beklagt, dass sich Romane wie "Verstörung" nur schleppend verkauften und er mehr Bücher absetzen würde, ginge er mit einem "Rucksack" durchs Land.
"Nun haben wir die Quittung"
Die "Leute wollen eben keinen Titel, der 'Verstörung' heißt", so Unseld an Bernhard: "Wir alle wussten dies, aber Thomas Bernhard wies die Argumente seines Verlegers zurück, er wusste es besser, und nun haben wir die Quittung." Auch ein moderner Klassiker wie Samuel Beckett verkaufe nicht mehr als zehn Bücher pro Monat.
Doch gegen die Argumente des Kaufmanns Unseld zeigt sich Bernhard immer immun. Er hat sich mit dem Kauf des Bauernhofs in Ohlsdorf übernommen - und immer wieder müssen Unseld und er auf das Geld zu sprechen kommen und das Darlehen, das der Verlag Unseld zur Finanzierung des Hofes gewährt hatte.
So ist der Hof Hypothek in mehrfacher Hinsicht: Pfandsache gegenüber dem Verlag - und zugleich Ort, an dem das Schaffen nicht immer gelingen mag: "Ich bin also nicht glücklich mit meinem Haus und ich denke daran, es zu verkaufen", schreibt Bernhard noch im Jahr seines Hoferwerbs 1965: "Es ist Besitz, wie ihn sich jeder wünscht, der mir aber schon lästig geworden ist. Plötzlich bin ich dadurch ein 'österreichischer Staatsbürger' geworden."
Auf dem Weg zum Ruhm
Was das Materielle betrifft, also Verkauf der Bücher, Ertrag für den Verlag und Einkommen des Schrifstellers, wird sich spätestens ab den 70er Jahren einiges ändern. Bernhard rückt immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Ab den 80er Jahren ist er Österreichs Skandaldichter Nummer eins, was ebenfalls der Auflage zugutekommt.
"Holzfällen" wird ja aufgrund einer gerichtlichen Verfügung unter der Ladentheke verkauft. An Bernhard ist dieses Ins-Zentrum-Rücken nicht spurlos vorübergegangen. "Das Meer hat meinen Kopf geklärt und meine Nerven beruhigt und mein Genie wieder in Gang gebracht", heißt es in einem Brief vom 17. Dezember 1981.
Zu dieser Zeit hat Bernhard die Bände seiner Autobiografie bei Residenz herausgebracht - ein Affront für einen Verleger wie Unseld.
Wenig später dann die Aufforderung an Unseld, der Suhrkamp Verlag dürfe keine Neuausgaben oder Neuauflagen seiner Titel machen. Alle im Suhrkamp Verlag erschienen Titel sollen "auslaufen oder vergriffen sein".
"Schlagabtausch" in Palma
Unseld wird nach Palma de Mallorca reisen, um sich mit Bernhard dem direkten "Schlagabtausch" zu stellen, wie Unseld in seinen Erinnerungen festhält. Bernhard trieb die Eifersucht. Schriftsteller wie Walser und Handke würden von Suhrkamp viel mehr hofiert als er.
"Die Suhrkamp-Produktion", so erinnert sich Unseld an Bernhards Standpunkt, "sei wie die anderer Verlage Fließbandproduktion, unmenschlich, so behandle man keine Geistesprodukte. (...) Er hasse Taschenbücher und finde es auch unnötig, dass seine Bücher im Taschenbuch erschienen."
Unseld hätte es besser wissen müssen. Bereits 1975 notierte er über Bernhard: "Er ist rücksichtslos, erpresserisch und erhebt das auch zu seiner künstlerischen Ideologie." 1988, knapp vor seinem Tod, reitet Bernhard wieder einmal gegen den Suhrkamp Verlag aus.
Drei Monate vor Bernhards Ableben will Unseld den Kontakt abbrechen - eine "Schmerzgrenze", so steht es in einem kurzen Telegramm, sei "überschritten". Bernhard repliziert, todkrank, mit dem Vorschlag, Unseld solle ihn doch aus dem "Verlag" und aus seinem "Gedächtnis" streichen. Am 12. Februar 1989 stirbt Bernhard.
Versöhnung in letzter Minute
Unseld hatte wenige Wochen davor mit Bernhard ein Versöhnungsgespräch geschafft. Er habe diesen Mann "geliebt", wird er später festhalten.
Nach über 800 Seiten Schlagabtausch fällt eine Sympathieaufteilung zwischen den Sparringpartnern Bernhard und Unseld schwer. Hier sind zwei Persönlichkeiten, die einander wenig geschenkt haben. Im Fall Unselds darf man gewiss sein, dass er neben Bernhard noch eine Schar nicht minder sensibler Patienten hatte.
Bernhard, das wird jedenfalls deutlich, wollte nicht "inter pares" mit anderen Schriftstellern sein. Er wollte die absolute Aufmerksamkeit.
Doch möglicherweise wurde erst im Angesicht des Todes tatsächlich "alles lächerlich", wie es bei ihm so oft heißt.
Gerald Heidegger, ORF.at
Buchhinweis
Thomas Bernhard, Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Suhrkamp, 849 Seiten, 41,00 Euro.
TV-Hinweis
"Der Briefwechsel" wird von "les.art"-Stammgast und Literaturkritikerin Sigrid Löffler in der kommenden Sendung bei Dieter Moor am 14. Dezember um 23.00 Uhr in ORF2 empfohlen - mehr dazu in tv.ORF.at.