Noch heute gilt Zlin als "Perle des Funktionalismus" und ist eine städtebauliche Pilgerstätte. Doch nicht jede modernistische Verheißung erfüllte sich auch tatsächlich, wie jetzt die Ausstellung "Modellstadt der Moderne" im Architekturmuseum der Pinakothek der Moderne in München zeigt.
"Kollektiv arbeiten - individuell wohnen"
Das "moderne" Zlin war die Vision des Schuhmachers Tomas Bat'a, der dort zur Jahrhundertwende eine Fabrik gegründet und damit den Grundstein für ein weltweites Schuhimperium gelegt hatte. Noch heute ist der Bata-Konzern, der seinen Hauptsitz inzwischen in Lausanne hat, der größte Schuhhersteller der Welt.
In den späten 20er und 30er Jahren war der Aufstieg besonders rasant. "Kollektiv arbeiten - individuell wohnen", lautete das Motto, unter dem Bat'a, seit 1923 auch Bürgermeister, die Stadt umgestalten ließ.
Diktat des Rasters
Architekten wie Frantisek Lydie Gahura, ein Le-Corbusier-Schüler, und Vladimir Karfik entwickelten den Stadtplan auf der Basis eines rund 6,15 mal 6,15 Meter großen Rasters, dem so gut wie alle Bauten unabhängig von ihrer Funktion zu folgen hatten.
In dieser fast parkartigen urbanen Landschaft gab es Fabrikshallen ebenso wie schicke Arbeiterhäuschen, Kindergärten, Krankenhäuser und das "Velke kino", das damals größte Kino Europas mit 2.580 Sitzplätzen.
"Totalitärer Kapitalismus"
Die Schau im Münchner Architekturmuseum rückt die Schattenseiten in den Mittelpunkt. Museumsleiter Winfried Nerdinger sprach im Deutschlandradio von "totalitärem Kapitalismus": "Es geht nur um die Gewinn- und Ertragssteigerung von Bat'a, und dazu erfasst er das gesamte Leben seiner Mitarbeiter von der Jugend bis zum Tod, kann man fast sagen, und von der Früh bis in die Nacht, von der Arbeit bis zur Freizeit."
Die Architekten der Zeit sahen über diese auch damals schon geäußerten Zweifel hinweg. Sie fanden in Zlin ein städtebauliches Modell vor, von dem man woanders noch träumte: die in die Zonen Arbeit, Wohnen, Freizeit und Verkehr gegliederte Stadt.
Vorbilder Ford und Taylor
Tomas Bat'a und sein Halbbruder Jan Antonin verwirklichten in Zlin viele architektonische und soziale Ideale, die Politiker, Unternehmer und Architekten nach dem Ersten Weltkrieg als zukunftsweisend propagierten - allerdings mit einem anderen Hintergedanken.
Die Bat'a-Brüder waren begeistert von den Ideen des Autoherstellers Henry Ford und des Begründers der Betriebswissenschaft, Frederick W. Taylor, und entwickelten ihr System nach ihnen: Die ganze Stadt stand im Dienste einer Sache, der Steigerung der Schuhproduktion.
Das Schuhimperium hatte klar totalitäre Züge: Eine Propagandaabteilung bestimmte nicht nur das Filmprogramm im Großkino, sondern verbreitete auch Plakate mit "1984"-artigen Slogans wie "Der Tag hat 86.400 Sekunden".
Der Direktor ist überall
Architekt Karfik baute Jan Antonin Bat'a - er übernahm die Führung, als Tomas 1932 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam - einen spektakulären, 17-stöckigen Konzern-Wolkenkratzer mit einem besonderen Merkmal.
Bat'as Direktionszimmer war mobil: ein überdimensionaler Fahrstuhl, voll ausgestattet mit Telefon, Waschbecken und Klimaanlage, mit dem der "Mussolini des Schuhs" jederzeit in allen Stockwerken haltmachen konnte.
Den Masterplan aus Zlin brachte der Industrielle an andere Konzernstandorte rund um die Welt, die teilweise sogar seinen Namen tragen: etwa Batanagar in Indien, die Satellitenstadt Bata Hellocourt in Frankreich und Möhlin in der Schweiz.
Le Corbusier war begeistert
In anderer Form war die Münchner Ausstellung schon in der Nationalgalerie in Prag zu sehen. In der Pinakothek der Moderne wurde sie um einen spannenden Aspekt erweitert: die Verbindungen Le Corbusiers mit Zlin und Bat'a.
Der Schweizer bewunderte die Planungen in der tschechischen Stadt und wollte unbedingt selbst daran Hand anlegen. Er plante eine Stadterweiterung und verschiedene Umstrukturierungen, doch die meisten seiner Ideen waren dem effizienzsüchtigen Bat'a zu teuer.
1939 emigriert
1939 verließ Jan Antonin Bat'a sein von der deutschen Wehrmacht besetztes Land und zog erst in die USA, wo er als Sympathisant der Achsenmächte unter Beobachtung stand, und dann nach Brasilien, wo er 1965 starb.
Eine 1947 in Abwesenheit erfolgte Verurteilung durch ein Prager Revolutionsgericht wegen "Kollaboration" mit Nazi-Deutschland wurde vor zwei Jahren aufgehoben.
Links:
- Pinakothek der Moderne
- Stadtverwaltung Zlin
- Zlin (Wikipedia)