Gerichte verwiesen auf Befehlsnotstand

Gegen den Lagerkommandanten von Sobibor, Franz Stangl, wurde wegen der Euthanasie-Morde auch in Österreich ermittelt.
Die ukrainischen Handlanger des Massenmordes in Sobibor sind härter zur Rechenschaft gezogen worden als die deutschen und österreichischen SS-Männer.

In der Sowjetunion wurden 19 Trawniki hingerichtet - in Deutschland wurden nur der ehemalige Lagerkommandant Franz Stangl und drei weitere Mörder zu lebenslanger Haft verurteilt. Fünf SS-Männer kamen mit Freiheitsstrafen von drei bis acht Jahren wegen Beihilfe davon.

In Berlin wiedererkannt
Als Erster war der ehemalige "Gasmeister" des Vernichtungslagers erwischt worden: Auf einem Rummelplatz in Berlin-Kreuzberg hatte der Sobibor-Überlebende Samuel Lerer 1949 den einstigen SS-Oberscharführer Erich Bauer wiedererkannt.

Das Berliner Landgericht verurteilte Bauer aufgrund des damals gültigen alliierten Kontrollratsgesetzes im Mai 1950 wegen Mordes zunächst zum Tode, später wurde die Strafe in lebenslänglich geändert. Er starb 1980 im Gefängnis.

Zweite Verurteilung 1950
Wenige Monate nach dem Fall Bauer - im August 1950 - wurde in Frankfurt am Main ein zweiter SS-Mann zu lebenslanger Haft verurteilt: Hubert Gomerski. Auf seine Spur war die Staatsanwaltschaft bei Ermittlungen zum Mord an Behinderten in der Euthanasie-Anstalt Hadamar gestoßen.

Wie fast alle der später in Sobibor eingesetzten SS-Männer hatte Gomerski sein grausames Handwerk in diesen Tötungseinrichtungen gelernt, bevor er laut Gericht seine "derartige Geringschätzung des menschlichen Lebens" in Sobibor austobte.

120 Österreicher und Deutsche
Aber nach diesen beiden Urteilen geschah lange nichts mehr. Erst ein Jahrzehnt später, nach der Gründung der Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, begann die Justiz in Deutschland, systematisch zu ermitteln.

Insgesamt waren rund 120 Deutsche und Österreicher in den drei Vernichtungslagern Sobibor, Belzec und Treblinka eingesetzt, wie die Historikerin Sara Berger in einem Beitrag für das Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt schrieb. Von 1942 bis zur Auflösung der Lager im Herbst 1943 hätten sie dort annähernd 1,5 Millionen Juden umgebracht.

Erster großer Sobibor-Prozess 1969
Der erste große Sobibor-Prozess gegen zwölf Angeklagte begann im September 1965 vor dem Landgericht Hagen. Eigentlich wollte dieses fünf Anklagen gar nicht zulassen.

Diese Männer hatten sich zuvor im Belzec-Verfahren beim Landgericht München erfolgreich auf Befehlsnotstand berufen - die dortige Kammer hatte die Anklagen wegen Beihilfe zum Massenmord abgelehnt. Sie hätten im Bewusstsein gehandelt, "sich in einer völlig ausweglosen Zwangslage zu befinden und nichts anderes tun zu können, als den ihnen erteilten Befehlen zu gehorchen".

Vorgesetzte von Demjanjuk
Aber das Oberlandesgericht Hamm sah das anders und verpflichtete die Hagener Richter, den zwölf Männern wegen Sobibor den Prozess zu machen. Einer von ihnen war Kurt Bolender, Chef der rund 100 Trawniki-Wachleute in dem Vernichtungslager und damit wahrscheinlich der direkte Vorgesetzte des jetzt in München angeklagten John Demjanjuk.

Der frühere Hotelportier und SS-Oberscharführer Bolender war nach dem Krieg für tot erklärt worden und hatte sich eine neue Identität verschafft. Wenige Wochen nach Prozessbeginn erhängte er sich in der Zelle.

Verbrechen "ohne innere Hemmungen"
Der SS-Oberscharführer Karl Frenzel bekam lebenslänglich, weil er "befohlene Verbrechen ohne innere Hemmungen nicht nur ausführte, sondern hierbei noch einverständlichen Eifer zeigte und dabei sogar über das ihm Anbefohlene hinausgeht, weil er Gefallen an dieser verbrecherischen Tätigkeit findet", wie die Richter feststellten.

Sechs Juden habe der frühere Tischler und Hadamar-Angestellte in Sobibor eigenhändig ermordet.

Drei bis acht Jahre Haft
Die anderen Angeklagten kamen glimpflich davon. Wegen Beihilfe zum Massenmord wurden fünf von ihnen zu Haftstrafen von drei bis acht Jahren verurteilt. Die übrigen fünf wurden wegen Befehlsnotstands freigesprochen.

"Da die Lagermorde juristisch als staatliche Auftragsmorde klassifiziert worden waren, hatten die Gerichte für eine Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Mords den subjektiven Täterwillen nachzuweisen", erklärte Berger.

Stangl-Ermittlungen in Österreich
Ein Haupttäter immerhin wurde doch noch zur Rechenschaft gezogen: der ehemalige Lagerkommandant von Sobibor und Treblinka, Franz Stangl. Der einstige Polizist und SS-Offizier war nach dem Krieg untergetaucht, als wegen der Euthanasie-Morde in Österreich gegen ihn ermittelt wurde.

Stangl wurde schließlich in Brasilien aufgespürt und 1970 in Düsseldorf zu lebenslanger Haft verurteilt. Er starb ein Jahr später im Gefängnis.

Roland Losch, AP

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