Jackson, die Rampensau

"Exklusiver Einblick in die Welt eines kreativen Genies".
Kaum zu glauben: "This Is It", die mit Spannung und Skepsis erwartete Musikdokumentation über Michael Jacksons Probenarbeit vor seinem Tod im Juni, ist keine (allzu) rührselige Heldenverehrung und keine verzweifelte Resteverwertung von Jacksons geplanter letzter Konzertreihe in London, sondern das durchaus interessante Porträt eines geborenen Showman.

Reichlich vorhandenes Backstage-Material
Der musikfilm- und bühnenerfahrene Regisseur Kenny Ortega, der für die "High School Musical"-Filme ebenso verantwortlich war wie für die Inszenierung der "This Is It"-Show, hat das offenbar reichlich vorhandene Backstage-Material zu einem Mix aus vollständig performten Songs und Making-of-Episoden zusammengeschnitten.

Zu Beginn ist noch Schlimmstes zu befürchten: Weinend erklären die gerade für die Show gecasteten Tänzer, dass ihr Leben dadurch, dass sie ihr Idol engagiert hat, einen Sinn bekommen habe.

Doch Ortega hört schnell auf, auf die Tränendrüse zu drücken, und liefert über weite Strecken einen flotten und unterhaltsamen Musikfilm mit durchaus überraschenden Erkenntnissen.

Auf der Bühne blüht Jackson auf
"Es ist ein sehr privater, exklusiver Einblick in die Welt eines kreativen Genies", hatte Ortega im Vorfeld gesagt. Das stimmt natürlich nicht: "This Is It" zeigt Jackson großteils im riesigen, anonymen Staples Center in Los Angeles bei Proben, bei denen er wusste, dass er gefilmt wurde.

Privat ist daran nichts, und das ist auch gut so. "This Is It" zeigt Jackson ein letztes Mal als geborenen Entertainer, der nur auf der Bühne aufblüht. In einem Moment sieht man ein sonderbares, schlaksiges Männlein mit Bomberjacke und viel zu weiter Ed-Hardy-Jogginghose, im nächsten einen Superstar, der auf einem Bühnenkran über die (fiktiven) Zuschauer schwebt und alles gibt.

Nicht immer perfekt
Jacksons Medikamentenprobleme sind in dem Film kein Thema. Ganz im Gegenteil: Er wirkt körperlich außerordentlich fit und liefert tänzerische Glanzleistungen.

Stimmlich scheint er nicht immer ganz auf der Höhe zu sein, und auch wenn er Bühnenanweisungen gibt, kommt es zu einigen sonderbaren Momenten der Verwirrtheit. Doch dass Ortega diese Szenen nicht geschnitten hat, verleiht dem ganz offensichtlich als Produkt geplanten Film einen dringend notwendigen Schuss Wärme und Sympathie.

Der Entertainer-Reflex
Rührend ist die Szene, in der Jackson mit einer Duettpartnerin "I Just Can't Stop Loving You" probt und dabei eigentlich seine Stimme schonen will. Am Ende gibt er vor seinem kleinen Publikum - Tänzern und anderen Teammitgliedern - alles. "Warum tut ihr mir das an?", fragt er scherzhaft in die Runde und erhält prompt die Antwort: "Du kannst doch nicht anders."

Show der Superlative
Ortega wollte mit dem Film offensichtlich auch zeigen, dass die geplanten "This Is It"-Konzerte in der O2-Arena in London keine Scharade waren, sondern ein weit gediehenes, professionelles und aufwendiges Projekt.

Ob Jackson tatsächlich alle 50 Auftritte durchgestanden hätte, darüber kann natürlich weiter spekuliert werden, dass er die Show grundsätzlich über die Bühne gebracht hätte, steht nach dem Film außer Zweifel.

Jackson war bei seinen Auftritten und Videos immer auf den größtmöglichen Effekt aus, und auch das spiegelt "This Is It" wieder. Zu sehen sind neue Videos, die als Rückprojektionen für die Show gedacht waren, etwa eine großartiges Schwarz-Weiß-Intro zu "Smooth Criminal", in dem Jackson eine Rolle im Humphrey-Bogart-Klassiker "Key Largo" übernimmt.

Bäume und Bagger
Erst am Ende gewinnt der Kitsch wieder die Oberhand. Höchst sonderbar ist der Moment, wenn Jackson aus dem Off erklärt, wie sehr ihm der Schutz der Umwelt ein Anliegen sei und wie sehr er die Bäume liebe, und im Bild ein extrem künstliches Urwald-Set zu sehen ist - bis ein böser Riesenbagger kommt und alles zerstört. Geplant war, dass dieser Bagger bei den Konzerten tatsächlich auf der Bühne einfährt - mit Jackson auf der Schaufel.

Zwei Wochen in den Kinos - oder länger?
Zurückhaltung war seine Sache nicht, das zeigt "This Is It" deutlich. Ob sich diese Methode auch für den Sony-Konzern, der die Rechte an dem Videomaterial für kolportierte 60 Millionen US-Dollar gekauft hat, auszahlt, wird sich weisen.

Konzertfilme sind üblicherweise keine Kassenschlager, aber durch die künstliche Beschränkung des Kinoeinsatzes auf zwei Wochen wurde die Nachfrage angekurbelt.

Man wolle den Film wie ein Konzert vermarkten, hieß es vonseiten des Verleihs auch bei einer Pressevorführung am Mittwoch in Wien - und wie bei einem erfolgreichen Konzert seien auch in diesem Fall Verlängerungen durchaus denkbar.

In Jacksons Sinne
Für Jackson-Fans ist jedenfalls eines wichtig: "This Is It", der Film, ist mit Sicherheit eines der letzten Produkte der postumen Vermarktungsmaschine, an dem der Sänger zumindest indirekt selbst kreativ beteiligt war - und damit vielleicht berechtigter als all die Ausstellungen, T-Shirts, Kaffeetassen und halbherzig zusammengezimmerten Songs aus dem Archiv, die noch kommen werden.

Michael Höck, ORF.at

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