Geniestreiche und Ausrutscher

Die "Titanic" wurde 1979 als Zentralorgan der Neuen Frankfurter Schule gegründet.
Ein selbst ernannter "Grenzgänger des guten Geschmacks" feiert Jubiläum: Die "Titanic", Deutschlands führendes, laut Untertitel sogar "endgültiges" Satiremagazin, wird am Samstag 30 Jahre alt.

Dass die "Titanic" so lange überlebt hat, ist bemerkenswert. Mehr als einmal schrammte die Zeitschrift wegen teurer Prozesse knapp an der Pleite vorbei, Klagen gehören quasi zum Tagesgeschäft.

Problemcover mit Kurt Beck
An den ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten Björn Engholm, der auf einem Titel in der Badewanne des toten Uwe Barschel abgebildet wurde, mussten etwa 40.000 Mark überwiesen werden.

27 Hefte wurden gleich ganz verboten - zuletzt im Sommer 2006, als der damalige SPD-Chef Kurt Beck mit dem Titel "Problembär außer Rand und Band: Knallt ihn ab!" auf dem Cover vorgestellt wurde.

Finanzierung über Verkauf
Über das fortgeschrittene Alter wundern sich auch die Zeitschriftenmacher selbst. Mit einer kleinen Mannschaft, die neben freien Mitarbeitern aus nur zwei fest angestellten Redakteuren besteht, hangelt sich die "Titanic" so durch.

Das Magazin verkauft nach eigenen Angaben im Schnitt um die 70.000 Exemplare pro Monat und kann sich damit finanziell auch ohne Anzeigen über Wasser halten, doch große Sprünge sind nicht möglich.

Schülerzeitungsschick
Im Zeitalter der schicken Hochglanzformate kommt das Blatt optisch weiterhin eher wie eine Schülerzeitung daher. Es fehle einfach das Geld für besseres Papier, heißt es.

Und wie bei einer Schülerzeitung sind auch die Titelgeschichten von höchst unterschiedlicher Qualität. In schwachen Monaten kommt lauer Klamauk dabei heraus, dann wieder schafft die "Titanic" bitterböse und hintergründige Cover, die sich über Jahre hinweg ins kollektive Gedächtnis einbrennen.

"Gemein: Alle wollen Krieg"
Im November 1989, dem Monat des Mauerfalls, texteten die "Titanic"-Macher etwa "Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD): Meine erste Banane" und zeigten dazu das klischeehafte Foto einer jungen Ostdeutschen - mit geschälter Gurke in der Hand.

Die legendären Cover sind so etwas wie das verzerrte Spiegelbild der jüngeren (deutschen) Geschichte. 1980 thematisierte man den ersten Golfkrieg ("Gemein: Alle wollen Krieg"), 1983 den Skandal um die Hitler-Tagebücher ("Adolf Hitler entdeckt!"). Von 1982 bis 1998 war Helmut Kohl Dauergast in dem Magazin, das ihn gern birnenförmig inklusive Stängel karikierte ("Birne").

Und die Konflikte zwischen "Wessis" und "Ossis" waren in den 90ern ein gefundenes Fressen für die Satiriker. "Gott sei Dank! Wiedervereinigung ungültig: Kohl war gedopt!" titelten sie im April 1992.

Treue Autoren
Dass es die Zeitschrift noch immer gibt, ist auch der Anhänglichkeit langjähriger "Titanic"-Autoren zu verdanken, die inzwischen als Buchautoren oder als Mitarbeiter ernsthafterer Medien erfolgreich sind.

Dazu gehören Schreiber wie Eckart Henscheid, Bernd Eilert und Max Goldt und Zeichner wie F. W. Bernstein und Greser & Lenz. Auch frühere Chefredakteure wie "Welt"-Kolumnist Hans Zippert ("Zippert zappt") halten dem Blatt die Treue.

Alles anders
Gegründet wurde das "endgültige Satiremagazin" 1979 in der Nachfolge der "Pardon" als Leitmedium der Neuen Frankfurter Schule. Deren berühmtes Viergestirn - Robert Gernhardt, Chlodwig Poth, F. K. Waechter und Hans Traxler - gehörte neben Peter Knorr zu den "Titanic"-Vätern.

Alles sollte anders gemacht werden, lautete die Devise. Alles sollte infrage gestellt werden. So werden bis heute statt Leserbriefen "Briefe an die Leser" verfasst.

"Subversiver" als Comedy
Vom Glanz der alten Garde zehrt das Magazin noch heute. Geblieben ist der Anspruch. "In jedem Artikel wird die Systemfrage gestellt", sagt der aktuelle Chefredakteur Leo Fischer, der mit seinen 28 Jahren jünger als das Magazin ist.

Er weiß, dass sich der Humor in Deutschland, für den die Zeitschrift lange Zeit etwa mit kreativen Begriffen wie dem "Teuro" stilprägend war, gewandelt hat. Die "Titanic" müsse "subversiver" als die heutige Comedy-Kultur sein, so Fischer.

Mehr "Aktionssatire"
Dafür fährt die Zeitschrift gerne schweres, wenn auch nicht immer zielsicheres Geschütz auf. In den vergangenen Jahren hat sich die "Titanic" verstärkt auf "Aktionssatire" verlegt, die außerhalb des Heftes stattfindet.

Schon 1988 hatte die Zeitschrift ihren Chefredakteur Bernd Fritz in eine "Wetten, dass ..?"-Sendung eingeschleust. Er behauptete, die Farbe von Buntstiften allein am Geschmack zu erkennen.

Fresskorb für WM-Stimmen
Im Jahr 2000 schickte die Zeitschrift am Vorabend der Entscheidung für die WM 2006 ein Fax an die Wahlmänner des Weltfußballverbandes (FIFA) in Zürich und versprach ihnen für ein positives Votum "einen Fresskorb mit deutschen Würsten und Kuckucksuhr".

2004 gründete dann der damalige Chefredakteur Martin Sonneborn Die PARTEI, die sich mit derzeit 6.000 Mitgliedern zum Ziel gesetzt, die Mauer wiederaufzubauen. Und im aktuellen Jubiläumsheft haben sich "freischaffende CIA-Mitarbeiter" der "Titanic" im Saarland bei der Linkspartei von Oskar Lafontaine nach "kommunistischen Umtrieben" umgesehen.

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