Die Besetzung des Sicherheitsrates mit atomaren Vetomächten laufe der Charta zuwider, wetterte er - und riss demonstrativ mehrere Seiten der UNO-Bibel ein. "Er sollte nicht Sicherheitsrat heißen. Er sollte Terrorrat heißen."
Delegierte verließen Saal
Die Aufregung im Plenum hatte schon vor Gaddafis Rede begonnen. Als er von seinem eigenen Minister, Ali Treki, der dieses Jahr Präsident der Vollversammlung ist, als "König von Afrika" und "König der Könige" ans Rednerpult gerufen wurde, brach Unruhe aus. Viele Delegierte verließen den Raum. Treki brauchte fast zehn Minuten und viele Hammerschläge auf sein Pult, um die Ordnung wiederherzustellen. Erst nach fast zehn Minuten erhob sich Gaddafi und schritt sichtlich verärgert ans Rednerpult.
Charta zerrissen
In der Präambel sei vorgeschrieben, dass alle Länder unabhängig von ihrer Größe gleichberechtigt seien, sagte Gaddafi vor den Spitzenpolitikern der 192 Mitgliedsländer. Dennoch seien die meisten Staaten nicht im fünfzehnköpfigen Sicherheitsrat vertreten, die fünf Vetomächte hätten das alleinige Sagen. "Das akzeptieren wir nicht, und das erkennen wir nicht an", sagte er sichtlich erregt, hielt ein Exemplar der Charta hoch und zerriss einige Seiten.
Libyens staatliche Nachrichtenagentur JANA hatte schon am Vortag angekündigt, Gaddafi werde der UNO-Vollversammlung "radikale Lösungen vorschlagen, die diese Organisation in ihren Grundfesten erschüttern werden".
Redezeit weit überzogen
Obwohl die Redezeit für die fünftägige Aussprache eigentlich auf 15 Minuten begrenzt ist, nahm sich der Libyer glatte 90 Minuten für seine Tiraden - den UNO-Höflichkeitsregeln zufolge darf niemand unterbrochen werden. Mitten in der Rede kehrten etliche Delegierte wieder ins Plenum zurück, sie hatten damit gerechnet, dass Gaddafi mittlerweise fertig sei.
Riesensumme für Afrika gefordert
Gaddafi forderte 7,77 Billionen Dollar (rund 5,26 Bio. Euro) für Afrika als Entschädigung für die Kolonialzeit. Wenn die westlichen Länder nicht zahlten, würden sich die Afrikaner das Geld zurückholen, sagte Gaddafi. Er spreche "im Namen von 1.000 afrikanischen Königreichen", erklärte der libysche Revolutionsführer, der bei seiner ersten Rede während einer Generaldebatte der UNO ein sandfarbenes Gewand mit einem Anstecker in der Form des afrikanischen Kontinents trug.
Gaddafi sagte ausdrücklich, dass sich seine Billionen-Forderung nicht an die frühere libysche Kolonialmacht Italien richte. Italien hatte 2008 ein Freundschaftsabkommen mit Libyen unterzeichnet und dem nordafrikanischen Land rund 3,4 Milliarden Euro in Form von Projektinvestitionen zugesagt.
Diskussion gefordert
Gaddafi forderte einen permanenten Sitz im UNO-Weltsicherheitsrat für die Afrikanische Union (AU). Auch mit den sonstigen Traditionen wollte er brechen. Das Gremium sei wie der Hyde Park in London: Alle nichtständigen Mitglieder würde ihre Rede halten und dann - wie beim berühmten Speaker's Corner in London - einfach wieder verschwinden. Jeder, der nicht mit ihm übereinstimme, solle einfach mit ihm diskutieren.
Gaddafi verurteilte die Einmischung des Westens in die Konflikte im Irak und in Afghanistan. Im amerikanischen Bürgerkrieg habe sich schließlich auch kein anderes Land eingemischt.
Bizarre Thesen
Andere Thesen Gaddafis sorgten für noch mehr Kopfschütteln: Die gehäuften Überfälle von somalischen Piraten sieht er als Reaktion auf die Überfischung der dortigen Gewässer durch die Industrienationen. Anschließend warnte er vor einer bevorstehenden "Fischgrippe", gegen die die Industrieländer dann Impfstoffe verkaufen würden.
Gleich zu Beginn seiner Rede hatte er gemeint, die Schweinegrippe sei für militärische Zwecke entwickelt worden. Sogar das Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy streift Gaddafi in der Rede. Der Simultanübersetzer hatte sichtlich Mühe, mit dem in Rage geredeten Revolutionsführer mitzukommen, für die letzten Minuten musste er sogar ausgetauscht werden.
Obama soll Präsident auf Lebenszeit bleiben
Zum Dank hatte Gaddafi zumindest für seinen Vorredner, dem US-Präsidenten Barack Obama, ein gutes Wort: "Wir wären froh, wenn Obama für immer US-Präsident bleiben könnte."
Zuvor hatte sich Gaddafi bereits auf den Vorsitzpult verewigt: Der Staatschef aus Tripolis zog einen Stift aus der Tasche und schrieb in arabischer und englischer Sprache "Wir sind hier" auf den Platz.
Ärger mit Beduinenzelt
Und auch mit seiner Vorliebe für Beduinenzelte löste er in den USA Verärgerung aus. Die Kleinstadt Bedford unweit von New York City stoppte den Aufbau eines Zeltes, das Gaddafi zur Bewirtung von Gästen am Rande der UNO-Generalversammlung in Manhattan nutzen wollte. CNN berichtete am Mittwoch, dass sich der umstrittene Libyer ausgerechnet ein Anwesen des New Yorker Baulöwen Donald Trump für sich und seine Gäste ausgesucht hatte.
Auch in New Jersey gescheitert
Der Anwalt der Stadt, Joel Sachs, führte mehrere Verstöße gegen die Grundstücksnutzung zur Begründung für das Einschreiten der Behörden auf.
Ursprünglich wollte der libysche Führer sein Zelt in dem New Yorker Vorort Tenafly (New Jersey) auf dem Anwesen des libyschen UNO-Botschafters aufschlagen. Doch die Anrainer schlugen Alarm und veranlassten die Stadtverwaltung einzuschreiten. Danach habe Gaddafi klein beigegeben und ganz gegen seine Gewohnheit beschlossen, in einer Hotelsuite zu ziehen.
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