Ein Patient weiter im Koma

Therapeut lernte Handwerk bei fragwürdiger Gemeinschaft in der Schweiz.
Zwei Tage nach der Therapiesitzung mit zwei Todesopfern in Berlin war der Zustand eines weiteren Patienten am Montagvormittag nach wie vor kritisch. Der 55-Jährige liege weiter im Koma, teilte die Polizei mit.

Am Sonntagabend war Haftbefehl gegen den 50 Jahre alten Therapeuten ergangen, der zugegeben hatte, bei der Gruppensitzung einen Mix verschiedener Drogen verabreicht zu haben. Ihm wird in zwei Fällen gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge sowie in sechs Fällen gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Substanzen noch nicht geklärt
Die Drogen sollten bei dem Treffen mit zwölf Teilnehmern eine Art Bewusstseinserweiterung bewirken. Zwei Männer im Alter von 59 und 28 Jahren erlagen der Vergiftung.

Noch ist unklar, was genau der Arzt seinen Patienten am Samstag verabreichte. Die Analyse werde einige Tage in Anspruch nehmen, hieß es bei der Polizei. Nach Medienberichten waren Amphetamine und Psychodrogen wie LSD im Spiel. Heroin war laut den Ermittlern auch dabei, allerdings nur in geringen Mengen.

Offenbar wurde jedem Teilnehmer ein individueller Substanzencocktail verabreicht. An der Sitzung war auch die 41-jährige Frau des Therapeuten beteiligt, die die Praxis gemeinsam mit ihrem Mann betreibt.

In Deutschland verboten
Der Verdächtige bietet als "Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapeut" auch "psycholytische Therapie" an. Bei dieser Art von Therapie werden psychoaktive Substanzen verwendet, die beispielsweise Bewusstsein und Wahrnehmung verändern und Halluzinationen auslösen können.

Ein derartiger Einsatz von Drogen ist in Deutschland "eindeutig verboten", sagte der Vizepräsident des Berufsverbandes Deutscher Psychologen, Laszlo Pota, am Sonntag in Hamburg.

Kontakte in die Schweiz
Der Therapeut und seine Frau unterhalten Kontakte zu einer Schweizer Einrichtung, die sich Therapeutisch-Tantrisch-Spirituelle Universität nennt und sich auf psycholytisches Arbeiten spezialisiert hat. Dabei werden bewusstseinsverändernde Substanzen verwendet - Rauschgifte wie LSD und Pilze etwa. Das Institut wird vom Therapeuten Samuel Widmer und seiner Frau geführt.

Sektenartige Gemeinschaft
Der Seminarveranstalter hat seinen Sitz auf einem Hof im schweizerischen Lüsslingen und führt dort eine "Gemeinschaft Kirschblüte", laut Eigendarstellung mit etwa 75 Erwachsenen und 60 Kindern.

Interessiert sei diese an Selbsterkenntnis und Tantrismus, einer religiösen Strömung aus Indien, die Erlösung durch bestimmte Rituale sucht. Kritiker sprechen von einer sektenartigen Gemeinschaft, an der vor allem der Zweifel am Inzesttabu irritiert.

Mentor "betroffen"
Widmer selbst zeigte sich betroffen und sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Therapeut sei vor 15 Jahren bei ihm in der Ausbildung gewesen. Er selbst arbeite aber nur mit genehmigten Substanzen. "Ich muss also annehmen, dass er etwas anderes genommen hat, denn meine Substanzen sind ungefährlich."

Widmer sagte, er wisse, dass sich diese Therapien, weil sie verboten seien, "massiv im Untergrund ausbreiten". Deswegen fordere er immer, dass die psycholytische Therapie in das medizinische System eingebunden werde. Der Berliner Therapeut und seine Frau waren als Referenten eines Seminarprogramms Widmers eingeplant.

Therapeuten sprechen von Scharlatanerie
Die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung distanzierte sich am Montag von dem Arzt. Eine solche Behandlung habe mit Psychotherapie nichts zu tun, betonte deren Vorsitzender Dieter Best.

"Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer. Wir sind erschüttert, dass so etwas möglich ist, verwahren uns aber dagegen, dass Scharlatanerie, wie sie hier betrieben wurde, mit Psychotherapie in Verbindung gebracht wird."

Die Psychoanalytikerin Eva Jaeggi befürchtet nach dem Berliner Vorfall neues Misstrauen gegenüber psychologischen Praktiken. Zu dem verhafteten Arzt sagte sie am Montag im Deutschlandradio Kultur: "Der hat sich Psychotherapeut genannt, aber was er macht, ist auf keinen Fall Psychotherapie." Auch sie sprach von Scharlatanerie.

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