Regener: Die Produktionsbedingungen haben sich eigentlich nicht verändert. Das sind halt andere Songs, die brauchen eine andere Behandlung. Wir sind natürlich auch vier Leute, die vier Jahre älter geworden sind seit dem letzten Album. Wir waren in dem Moment eben anders drauf, das kann man sehr schwer beurteilen.
Ich fand es verspielter, aber von der Instrumentierung her sparsamer. Wichtig ist, dass Jakobs (Ilja, Anm.) Gitarre sehr stark im Vordergrund steht bei dieser Platte. Die oft gespielte Akustikgitarre unterstreicht den folkigen Einschlag, der sicher da ist. Die Akustikgitarre macht die Produktion klarer. Die Geige ist ebenfalls sehr folkig. Das alles spielt eine Rolle.
Aber am Ende ist es so, dass man sich das nicht vorher vornimmt. Das hat nicht so viel mit der Produktionsmethode zu tun, sondern man hat die Songs und hat das Gefühl, die wollen das. Man selber will das mit diesen Songs in diesem Moment so treiben. Vieles davon entsteht ja auch spontan.
ORF.at: Es erinnert schon an Bob Dylan, beispielsweise seine "Basement Tapes", etwa im kreativen Umgang mit Americana. Haben Sie Dylan gehört, als es ans Aufnehmen des Albums ging?
Pappik: Ein Einfluss war er sicher immer für alle in der Band in irgendeiner Form. Und Dylan ist einfach eine einsame Größe. Was den Song, das Songwriting anbetrifft, ist er ein Klassiker. Ich denke schon, dass das inspiriert, wenn man Musik macht und ihn jemals, irgendwann einmal gehört hat. Das lässt man dann einfließen. Genauso gibt es das mit anderen Interpreten oder Musikern oder Songschreibern.
Regener: Ich glaube, man kann kaum Rockmusik machen, ohne von dem, was schon da war, beeinflusst zu sein. Aber das meiste spielt sich eher im Unterbewusstsein ab. Bob Dylan, die Rolling Stones, die Beatles, das ist Musik, mit der wir aufgewachsen sind.
Genauso prägend waren für mich aber die Mariachi-Platten meiner Eltern und Louis Armstrong. Ich glaube, Ähnliches gilt umgekehrt dann auch für Bob Dylan und seine Vergangenheit - wie das eben bei jedem Musiker so ist. Das ist gar nicht mehr aufzudröseln.
Man mag es ja gar nicht glauben, wenn man unsere erste Platte "Basically Sad" hört. Es ist witzig, schon nach unserem ersten Konzert hat Thomthom Geigenschrey in seiner Kritik in der "taz" geschrieben: "Die ganze Band samt Sänger ist Scheiße. Die versuchen, so Musik zu machen wie Bob Dylan und Bruce Springsteen."
Das wäre das Letzte gewesen, worauf wir selbst gekommen wären. Wir versuchten eigentlich, so Musik zu machen wie ...
Pappik: ... wie Pink Floyd ...
Regener: Du vielleicht! Ich versuchte, Musik zu machen wie Velvet Underground. Na ja, und dann kommt irgendetwas dabei heraus. Daran sieht man schon, wie wenig es nützt, wenn man sich irgendetwas vornimmt. Das bringt ja nichts!
Das Einzige in der Rockmusik, worauf wir uns einigen konnten, war Velvet Underground gewesen. Weil wir ja alle in der Band aus dieser Postpunk-Avantgarde-Sause kamen und alle obercool sein wollten. Und Velvet Underground war natürlich eine von den ältesten, coolsten Bands, die es gab. Nur nützt einem auch das nichts.
ORF.at: Heute hört man von vielen Bands, dass ihnen die Bezüge zu anderen Künstlern als eigene Aussage neben der Musik und den Texten sehr wichtig sind: Eine Band lässt sich von der anderen produzieren, alle zitieren einander und so weiter. Bei Ihnen war das zumindest am Anfang auch so. Sind Sie in irgendeine Art von Szene verwoben?
Regener: Das war ja eher das Problem - dass wir nie in irgendeine Art von Szene verwoben waren ...
Pappik: ... und viel Energie darauf verwendet haben, es nicht zu sein.
Regner: Es gab ja keine Szene - eigentlich war es also nicht so schwer. Eine Szene, bei der auch wir mitmachen konnten, gab es nicht. So etwas wie später die Hamburger Schule gab es nicht.
In Berlin machte man andere Musik als wir. Ich kann mich noch erinnern, wie die Freundin von Caspar Brötzmann (Noise-Gitarrist, Anm.) mich fassungslos anguckte, als ich ihr sagte, wir machen so richtige Songs. "Was denn, so mit C-Dur und G-Dur oder was?!" Ich sagte: "Äh - ja, ja ..." Und gleichzeitig machten wir nicht Popmusik, wir waren nicht auf der Suche nach dem Hit.
Pappik: Wir waren einfach nicht besonders cool damals.
Regener: Wir waren aber auch nicht scharf darauf, nicht so richtig. Ich glaube auch, dass Berlin dafür einfach zu groß ist.
ORF.at: Aber es gab doch Überschneidungen, etwa mit den Fehlfarben.
Regener: Ja, Uwe Bauer, unser erster Schlagzeuger vor Richard Pappik, war auch bei den Fehlfarben. Das war die Connection zum Düsseldorfer Label Ata Tak. Ata Tak war eigentlich ein elektronisches Label, das war eigentlich von den Leuten von Plan (Düsseldorfer Elektronikband, Anm.) gemacht worden, um ihre eigenen Sachen, Andreas Dorau und so, herauszubringen.
Das sind eigentlich so Leute, mit denen wir uns verständigt haben, wo man aber nicht sagen kann: Das ist jetzt musikalisch. Wobei, der Pyrolator (Kurt Dahlke, Anm.) ... Es stimmt, es gab schon Referenzleute. Pyrolator hat die erste Platte gemischt und hat später auch Keyboard gespielt, als wir uns das leisten konnten. Aber das war halt in Düsseldorf. Es ist nichts Festes gewesen.
Am Anfang ist so etwas ein Fluch. Man tut sich schwer. Man wird nicht so leicht verortet, kann nicht so einfach eingeordnet werden. Das macht es am Anfang schwer, über die Band berichten und sie einschätzen zu können.
Später ist aber auch eine enge Bindung an eine bestimmte Szene ein Fluch. Einmal Gothic-Band, immer Gothic-Band, einmal Hamburger Schule, immer Hamburger Schule. Viele versuchen, sich daraus wieder zu befreien.
Letztendlich hatten wir aber keine Wahl. Es war nicht so, dass wir sagten: "Wir wollen das nicht." Wir wollten einfach diese Art von Songs machen. Wir haben unsere erste Tournee mit den Subtones, einer Mod-Band, gemacht. Die waren viel populärer als wir.
Wir waren die hässlichen Entleins, die eingängige Songs machten. Aber es war nicht einfache Popmusik. Jeder fragte: "Was macht ihr da eigentlich für Musik?" Man musste das erst einmal durchsetzen. Aber wenn man es dann einmal geschafft hat, dann ist das ein Segen.
ORF.at: Diese Sorgen haben Sie seit dem Erfolg von "Mittelpunkt der Welt" nicht mehr. Sie sind mit Ihren folkigen Songs in der Mitte von etwas angelangt. International wird Neo-Folk immer populärer, von Bonnie Prince Billy über Smog bis Grizzly Bear. Interessieren Sie sich dafür?
Regener: Natürlich interessiere ich mich dafür. Das ist mein Leben, ist doch klar. Es gibt Zeiten, da läuft es in die Richtung, die wir machen, und es gibt Zeiten, da läuft es wieder weg. Das vollzieht sich in Wellen. Das kann man über die lange Zeit, die wir das machen, schon sagen. Das ist nichts Verlässliches.
Aber grundsätzlich glaube ich, dass zurzeit sehr viel Interesse dafür da ist, wie Musik gemacht wird. Die Leute interessieren sich wieder richtig für Musikinstrumente. Aber auch das vollzieht sich in Wellen.
Im folkigen Segment passiert im Moment sehr viel aufregende Musik in den USA, das stimmt auf jeden Fall. Aber das ist nichts, wofür wir uns speziell interessieren müssen. Das kriegt man sowieso mit. Musik ist unser Leben. Wir hören die ganze Zeit Musik. Richard zum Beispiel hört ganz andere Sachen als ich.
Pappik: Aber ich glaube, es hängt auch mit einer gewissen Beständigkeit zusammen, wenn man seinem Stil treu bleibt über eine gewisse Zeit. Diese ganzen Zeitgeistgeschichten werden immer schneller. Irgendwann überholt einen das von hinten wieder. So empfinde ich das momentan für uns. Diese ganze New-Folk-Bewegung, die Sie gerade erwähnt haben, das kommt auf einmal wie ein Wind von hinten.
Das sind aber im Prinzip Sachen, die wir schon seit Jahren machen. Das Interesse scheint auch größer geworden zu sein daran, wie Musik im klassischen Sinn gemacht wurde. Nach diesen ganzen Jahren von Computermusik und In-den-Bildschirm-Gucken siehst du wieder die Musik.
Die Technik hat sich in eine ganze andere Richtung entwickelt. Jetzt gibt es auch wieder ein Interesse daran zu gucken: "Wie war das denn mal, wie ist das denn alles entstanden?"
Regener: Vielleicht bestimmt hier das Sein das Bewusstsein. Oder es ist eine Frage der ökonomischen Basis. Wenn man mit Platten kein Geld mehr verdienen kann, muss man sein Geld mit Konzerten verdienen. Für Rockmusiker war das ohnehin immer so - natürlich nicht für alle.
Wenn man mit Platten kein Geld mehr machen kann, ist das bei elektronischer Musik ein ganz schönes Problem. Weil das nämlich live nicht sexy ist. Es ist nicht besonders sexy, zwei Leuten dabei zuzusehen, wie sie in den Laptop starren. Das gibt es, das kann man schon machen, das hat auch seinen Charme. Das kann vielleicht eine Band wie Kraftwerk machen - aber das können nicht alle machen.
Man stellt fest, dass elektronische Musiker anfangen, sich Schlagzeuger zu suchen und so weiter. Das bringt sonst als Live-Ding nichts. Das bringt nicht viel, das ist nicht toll, wenn der Rhythmus vom Band kommt. Vom Band ist ja heute nicht mehr - von der Harddisk.
Ich habe Lady Gaga gesehen - da spielt ein richtiger Schlagzeuger! Für die Show war das richtig, dass da richtige Musiker spielen. Ist doch klar.
ORF.at: Ist das schottische Volkslied "The Storms Are on the Ocean" auf dem neuen Album ein Geschenk an Leute, die Sie schon seit langem hören? Nach vielen Jahren wieder einmal eine Nummer mit englischem Text?
Pappik: Das ist eine wunderschöne Sichtweise, das will ich einfach so stehen lassen.
Regener: Ich finde es ja gut, dass wir immer wieder Coverversionen gemacht haben. Es wäre vielleicht an der Zeit, das einmal zusammenzusammeln. Es gibt ja viele B-Seiten von Singles, die es gar nicht mehr zu kaufen gibt. Das ist eine sehr psychedelische, quer durch den Garten gehende Sache.
ORF.at: Vielleicht könnte man ja das als Ihren Referenzrahmen bezeichnen: von der Schlagersängerin Alexandra bis zu den Pet Shop Boys?
Regener: Ja, stimmt, es ist alles da. Udo Lindenberg ...
Pappik: ... Franz Josef Degenhardt, Andreas Dorau ... Man kriegt es ja gar nicht alles zusammen.
ORF.at: Freddy Quinn ...
Regener: ... Arlo Guthrie ...
Pappik: ... die Beatles, die Bee Gees!
Regener: Eigentlich ein recht seltsames Kompendium.