Musik für "irritierte Buchhändler"

Mit melodiöser Musik wurde man im Berlin der frühen 80er schief angeschaut.
Wenn man früher Sven Regener in Wien interviewen wollte, musste man ins urig-traditionelle Kaffeehaus Westend gegenüber dem Westbahnhof gehen. Nun jedoch ist ORF.at zum Gespräch mit dem Sänger der Band Element of Crime ins noble Innenstadtlokal "Ein Wiener Salon" geladen, mit dabei ist Schlagzeuger Richard Pappik.

©Bild: ORF.at/Roland Winkler
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Ein Ortswechsel mit Symbolgehalt, möchte man meinen. Immerhin wurde ihre letzte Platte "Mittelpunkt der Welt" vor drei Jahren mit Gold für über 100.000 verkaufte Alben ausgezeichnet - der größte Erfolg nach 25 Jahren Bandgeschichte. Der Trommelwirbel für das neue, mit Spannung erwartete Album "Immer da, wo du bist, bin ich nie" ist dementsprechend laut.

Kein Weg vorbei an Dylan-Vergleich
Die Platte erscheint am Freitag, und ein Gutteil der Songs klingt kräftig nach Bob Dylan zur Zeit seiner "Basement Tapes".

Die Band experimentiert mit folkigen Americana-Spielarten; Zieh- und Mundharmonika, Trompete, viel Geige und gar eine Ukulele kommen zum Einsatz. Der Rhythmus bewegt sich meist zwischen Mid- und Uptempo, und die unverwechselbaren deutschsprachigen Texte changieren zwischen poetischen Preziosen und kuriosen Kalauern.

Das Sound des Albums stellt keinen Bruch mit der Vergangenheit dar. Aber verspielter als zuletzt hörten sich die neuen Songs an, räumt Regener ein. Die Akustikgitarre stehe noch mehr im Vordergrund als auf "Mittelpunkt der Welt".

"Wir wollten obercool sein"
Dylan sei ein wichtiger Einfluss gewesen, bestätigt Pappik, aber Regener ist genervt. Schon beim allerersten Album Mitte der 80er ("Basically Sad") habe das Berliner Szeneurgestein Thomthom Geigenschrey in der "taz" sinngemäß geschrieben: "Die ganze Band samt Sänger ist Scheiße. Die versuchen, so Musik zu machen wie Bob Dylan und Bruce Springsteen", erzählt Regener.

©Bild: ORF.at/Roland Winkler
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Das sei das Letzte gewesen, woran sie selbst gedacht hätten. Wie Velvet Underground wollten sie sein, "weil wir ja alle in der Band aus dieser Postpunk-Avantgarde-Sause rauskamen und alle obercool sein wollten".

"Die hässlichen Entleins"
Aber sich in der Musik etwas vorzunehmen "bringt ja nichts", sagt Regener. Die Songs würden von selbst fordern, was sie brauchen, das sei auch beim neuen Album so gewesen. Wie Velvet Underground hörten sich Element of Crime jedenfalls nicht einmal in ihren Anfangstagen an, als sie ihre Songs noch auf Englisch aufnahmen und von Velvet-Underground-Größe John Cale produziert wurden.

Anfang der 80er Jahre "waren wir die hässlichen Entleins, die eingängige Songs machten", sagt Regener rückblickend. Damit habe man schon damals keiner alternativen Szene angehören können. "Wir waren einfach nicht besonders cool", bringt es Pappik auf den Punkt.

Regener unterstreicht das mit einer Anekdote: "Ich kann mich noch erinnern, wie die Freundin von Caspar Brötzmann (Noise-Gitarrist, Anm.) mich fassungslos anguckte, als ich ihr sagte, wir machen so richtige Songs. 'Was denn, so mit C-Dur und G-Dur oder was?!' Ich sagte: 'Äh - ja, ja ...'"

Bloß kein Pop
Schwer einordenbar ist die Musik von Element of Crime seit jeher. Das sei am Anfang problematisch gewesen, habe sich auf lange Sicht aber ausgezahlt. Zuordnungen schränken ein.

Eingängige Melodien, ja - aber kein Pop, das ist Regener wichtig. Element of Crime sehen sich als "Rock 'n' Roll"-Band mit unterschiedlichsten Einflüssen, und ihr momentaner Erfolg habe auch nichts damit zu tun, dass sie ihren Stil einem breiten Publikum angepasst hätten.

Auf der Welle
Sind die Berliner mit "Mittelpunkt der Welt" in die Mitte von etwas Größerem geraten? Ruhigere Gitarrenklänge und Neo-Folk stehen momentan hoch im Kurs. Musiker wie Bonnie Prince Billy und Smog ebneten den Weg, jüngere Bands wie die Fleet Foxes und Grizzly Bear liefern psychedelischere, eklektische Varianten.

"Sehr viel Aufregendes", stimmt Regener zu, passiere derzeit in den USA im Folk-Bereich. Diese Bewegung erreiche sie wie "ein Wind von hinten", meint Pappik. Ihre eigene Musik bleibe gleich - die Stilwechsel im alternativen Mainstream dagegen würden in Wellen kommen und gehen.

"Computermusik" ist live "nicht sexy"
Eine andere Erklärung findet Regener: Weil man mit Platten in Internet-Download-Zeiten nur wenig Geld verdienen könne, würden Konzerte immer wichtiger. Das komme Livebands wie Element of Crime, die mit mehreren Instrumenten arbeiten, entgegen.

"Es ist einfach nicht sexy, zwei Leuten dabei zuzusehen, wie sie in den Laptop starren", sagt Regener, und Pappik fügt hinzu: "Nach diesen ganzen Jahren von Computermusik und In-den-Bildschirm-Gucken siehst du wieder die Musik."

Kein "scheiß Verein"
"Früher waren wir eher die Jüngsten im Saal, jetzt sind wir eher die Ältesten", sagt Regener. Wenn sie bezüglich der Altersstruktur von sich selbst auf ihre Fans schließen würden, dürften Element of Crime nur noch in bestuhlten Sälen spielen.

So etwas wie eine homogene Fangruppe gebe es nicht: "'Unsere Fans', das klingt ja so, als ob man so ein scheiß Verein wäre", sagt Regener mit verächtlichem Gesichtsausdruck. Heute seien die Konzertbesucher nicht mehr dieselben wie damals - "nicht einmal die Gleichen, möchte ich meinen".

Jüngere und Ältere würden sich mischen. Pappik und Regener erzählen mit frechem Grinsen, nach dem Erscheinen von Regeners "Herr Lehmann"-Romanen sei ein neuer Typ Konzertbesucher hinzugekommen: die "irritierten Buchhändler mit weißen Haarkränzen, die eineinhalb Stunden lang nicht an ihrem Bier trinken".

Die Platzwunde aus dem Ratingerhof
Weniger liebevoll geht Regener mit "Punk-Rentnern", die allesamt schon vor 1977 dabei gewesen sein wollen, ins Gericht. "Schau mal, meine Kopfplatzwunde aus dem Ratingerhof in Düsseldorf von 1982" - das sei ähnlich abstoßend "wie früher der Opa, der den Knieschuss von Stalingrad herzeigte". Regener: "Rentner mit Irokesenschnitt, na das kann ja was werden."

©Bild: ORF.at/Roland Winkler
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"Irgendwann hört's auch mal auf"
Das Spiel mit Sprache steht bei Element of Crime im Interview genauso im Vordergrund wie in ihren Songtexten. Regener und Pappik prusten anerkennend los vor Lachen, wenn einer von beiden eine Pointe landet. Schöne Formulierungen wiederholt Regener gerne, um sich selbst ein zweites Mal daran zu erfreuen.

Songtexte, sagt der Sänger, seien die "Mutter aller Lyrik". In einem der neuen Songs zieht der Ich-Erzähler einen Vergleich, auf den Regener - fast unironisch - besonders stolz ist: "Was für Cloppenburg Pfanni ist, bist du für mich." Mitten in Cloppenburg stehe ein großer Turm des Erdäpfelpüree-Erzeugers, und auch sonst werde das Städtchen von der Firma dominiert.

Auf diese Metapher habe man keine weitere mehr draufsetzen können, meint Regener, denn: "Irgendwann hört's auch mal auf." Deshalb erklärt er den Hörern in der nächsten Textzeile schlicht: "Metaphern sind Scheiße." Das wirke wie ein Schock nach einer Metapher von "so großer Schönheit und Extravaganz", sagt Regener vergnügt.

"Nicht mehr so dringend"
Auch die Tradition mit den Interviews im Westend hörte einfach irgendwann auf. Die Welt, für die das Cafe mit all seinen Gerüchen und Mehlspeisen stehe, sei zwar schöner als die Realität, meint Regener.

Nun aber, wo man nicht mehr nebenan im Hotel Fürstenhof wohne wie all die jungen Musiker, sei es "ja auch nicht mehr so dringend", sich im dem Knotenpunkt für Hofratswitwen, Westbahn-Reisende und Rockbands auf Tour interviewen zu lassen.

Nun wird im weitaus nobleren Design- und Wellnesshotel Triest residiert. Da ist die Gefahr, Punk-Rentnern zu begegnen, jedenfalls ungleich geringer.

Simon Hadler, ORF.at

Konzert- und Albumhinweis
"Immer da, wo du bist, bin ich nie" erscheint am Freitag bei Universal. Konzerttermine 2010 in Österreich: 22. Jänner Posthof Linz, 23. Jänner Hafen Innsbruck, 9. Februar Gasometer Wien.

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