Das Streben des Doktors

Goethe beschäftigte sich schon in den 1770ern das erste Mal mit dem Fauststoff.
"Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein", "Das also ist des Pudels Kern", die Gretchenfrage: Dass Johann Wolfgang Goethes "Faust" unzählige geflügelte Worte entspringen, zeigt schon den einzigartigen Stellenwert der Tragödie in der deutschen Literatur.

Goethes Version der alten Doktor-Faustus-Geschichte ist "Standardgedicht der Deutschen und Menschheit auf einmal, das man aufschlägt, wie man die Bibel aufschlägt", erklärte Thomas Mann einmal, der den Stoff zweieinhalb Jahrhunderte später aufgriff.

Der historische Faust
Ausgangspunkt des Fauststoffs ist der wandernde Magier, Astrologe und Wahrsager Johann Faustus, der im 15. Jahrhundert in Deutschland lebte, dessen überlieferte Biografie aber mehr als lückenhaft ist. 1587 erschien eine erste Fassung der "Historia von D. Johann Fausten", in der von einem Pakt mit dem Teufel erzählt wird.

Mehrmals überarbeitet
Goethe beschäftigte sich schon früh mit dem Fauststoff. Im "Urfaust", einem vermutlich zwischen 1772 und 1775 entstandenen Entwurf, von dem nur eine Abschrift existiert, sind bereits einige Szenen enthalten, die später in "Faust I" aufgegriffen werden.

1790 brachte Goethe eine überarbeitete Fassung dieses Materials als "Faust. Ein Fragment." heraus, 1808 erschien schließlich die nochmals erweiterte und überarbeitete endgültige Version "Faust. Eine Tragödie".

Pakt mit dem Teufel
"Faust I" spielt zu Lebzeiten des historischen Faust unter anderem in Leipzig und im Harz. Der Forscher und Lehrer Heinrich Faust zieht eine Bilanz seines Lebens und ist erschüttert. Weder habe er es zu großartigen wissenschaftlichen Erkenntnissen gebracht noch zu einem erfüllten Leben. Seine nicht erfüllbare Sehnsucht nach Höherem treibt ihn fast in den Selbstmord.

Mephisto bietet ihm daraufhin einen teuflischen Pakt an: Ihm fällt Fausts Seele zu, sobald dessen Sehnsucht erfüllt ist. Mephisto nimmt Faust mit auf eine Reise durch die Welt, die in die tragisch verlaufende Liebschaft mit der jungen Margarete, genannt Gretchen, mündet.

Gretchen wird erlöst
Faust schwängert die junge Frau und lässt sie danach im Stich, er tötet Gretchens Bruder Valentin, ihre Mutter kommt durch ein von Faust ins Spiel gebrachtes Schlafmittel zu Tode.

In ihrer Verzweiflung tötet Gretchen ihr neugeborenes Kind und wird zum Tode verurteilt. Faust eilt in den Kerker, um sie zu retten, doch dafür ist es zu spät. Gretchen will sich nicht in die Fänge des Teufels begeben, empfiehlt sich Gott ("Ihr heiligen Scharen, lagert euch umher, mich zu bewahren! Heinrich! Mir graut's vor dir") und wird durch die Hinrichtung erlöst.

"Faust II" postum veröffentlicht
Die Gretchentragödie ist damit abgeschlossen, die Gelehrtentragödie um den verzweifelten Doktor geht in "Faust. Der Tragödie zweiter Teil" weiter und wird zur Menschheitsparabel ausgebaut.

Goethe hatte sich fast zwei Jahrzehnte lang nicht mit dem Fauststoff beschäftigt, als er 1825 frühere Notizen zu einer Fortsetzung aufgriff und erweiterte. Er stellte "Faust II" 1831 fertig. Veröffentlicht wurde das Werk erst 1833, ein Jahr nach Goethes Tod.

Quer durch die Geschichte
Das Stück galt beim Erscheinen als unspielbar, und das nicht ohne Grund. Zeit und Raum werden in der episodenhaften Tragödie in fünf Akten auf den Kopf gestellt, Goethe jongliert nicht mehr mit Einzelschicksalen, sondern mit der ganzen Menschheit.

Zu Beginn wird Tabula rasa gemacht: Elfen befreien Faust im Schlaf vom schlechten Gewissen über die Geschehnisse in Teil eins. Mit Mephistos Hilfe nimmt er nun eine Reihe von Tätigkeiten in verschiedenen Menschheitsperioden an. Am Hof des Kaisers rettet er das marode Reich, indem er - mit Teufels Hilfe - das Papiergeld erfindet.

Von Engeln entführt
Im antiken Griechenland trifft Faust auf Helena, den Inbegriff der Schönheit, und glaubt für einen Augenblick, mit ihr sein Sehnen erfüllen zu können.

Danach wendet er sich wieder weltlichen Taten dazu: Er wird nach einem mit unlauteren Mitteln gewonnenen Krieg Herrscher über ein Landgebiet, dem er ohne Rücksicht auf Verluste seinen Stempel aufdrückt. Er lässt Land trockenlegen, Dämme und Siedlungen bauen - und ist erstmals mit seinen Taten zufrieden. Mephisto hat hinter seinem Rücken schon Fausts Grab geschaufelt. Doch die Seele des Doktors wird von himmlischen Heerscharen in den Himmel begleitet: Gretchen hat sich für sie eingesetzt.

Links: