Schwieriger Auftakt
Der Nachfolger von Klaus Bachler stellte sich mit dem "Faust"-Marathon eine nicht gerade einfache Aufgabe. Denn während Goethes "Faust I" eines der meistinszenierten Stücke ist, gilt "Faust II" als eines der schwierigsten.
"Faust I" ohne roten Faden
Für "Faust I" wählte Hartmann eine sehr klassische Herangehensweise. Bereits in den ersten Szenen drängt sich der Verdacht auf, dass es dem Regisseur für das Stück an einer zündenden Idee gemangelt hat. Ein Konzept lässt sich nicht erahnen, die Handlung plätschert, musikalisch untermalt durch einen Männerchor, ohne wirkliche Schwer- und Höhepunkte vor sich hin.
Es vermittelt sich nicht, was Hartmann dem Publikum durch seine Inszenierung eigentlich erzählen will. In der Personenführung fehlt ebenso eine Regiehandschrift. Dass die darstellerischen Leistungen trotzdem teilweise sehr stark sind, liegt daran, dass das Ensemble bis in kleine Rollen mit großen Schauspielern besetzt ist.
Moretti unterliegt
Mephisto Gert Voss eignet sich Goethes Sprache an, spielt mit dem Versmaß und verleiht dem Teufel ein tänzelndes, spielerisches, clowneskes Wesen - und bleibt trotz allem hinter seinen oft bewiesenen Möglichkeiten zurück.
Tobias Moretti ist Voss sprachlich und darstellerisch stets unterlegen - Faust fehlt damit über weite Strecken das Profil. Und das erweist sich als schwerer Nachteil für das Stück: Der Diskurs zwischen Faust und Mephisto kann nur spannend sein, wenn die beiden Partner einander ebenbürtig sind. So stellt sich dem Zuschauer eher die Frage, was Mephisto an dem Pakt mit Faust eigentlich so spannend findet.
Die Gretchenfrage
Katharina Lorenz in der Rolle des Gretchens erweist sich als eine großartige Besetzung. Sie spielt mit viel Überzeugungskraft das unschuldige, naiv-einfältige und zugleich selbstbewusste Mädchen, das in die Falle von Faust und Mephisto tappt und dadurch sich und ihre Familie ins Unglück stürzt.
Große und kleine Kisten
Sehr schlicht präsentiert sich das Bühnenbild von Volker Hintermeier. Größtenteils schwarz-weiß gehalten, zieht sich - rein ästhetisch - ein roter Faden in Form von großen (meist weißen) Kuben durch die Inszenierung.
Hintermeier verpackt ganze Szenen in diese Kästchen - sei es eine schicke Weinbar als "Auerbachs Keller" oder die leicht schmuddelige Wohnstube von Frau Marthe. Sie werden aufgeklappt, abgerissen, verschoben und am Ende auch zum Mordwerkzeug. Mit einer schlichten Handbewegung setzt Mephisto das Seil in Brand, das den Kubus hält, der als Damoklesschwert über Gretchen Kopf schwebt.
"Faust II" witzig und ironisch
Eine völlig andere Herangehensweise wählte Hartmann für die zweite Premiere des Abends. Modern, ironisch und oft witzig hat dieser "Faust II" zumindest etwas, das dem ersten Teil hier fehlt: eine Idee.
Das Stück gilt in seiner ursprünglichen Form schon seit jeher als fast unspielbar - zu viele Themen, Handlungsstränge und sprachliche Stilbrüche prallen aufeinander. Überraschend klar und verständlich präsentiert sich der Stoff in dieser Inszenierung - wenn auch sehr eingedampft auf Fausts Leben zwischen Gretchens Tod und seinem eigenen. Dadurch kratzt Hartmann wieder nur sehr an der Oberfläche und lässt die Frage nach den eigentlichen Motiven erneut offen.
Multimediale Bilderflut
Das Bühnenbild besteht aus vier neonumrahmten, durchsichtigen Projektionsflächen, die ständig per Livekameras bespielt werden. Die so entstehenden psychedelischen Effekte und Spielräume werden ausgiebigst von den Darstellern genutzt.
Fast jeder darf der Teufel sein
Das achtköpfige Ensemble zeigt viel Spielfreude und wechselt fließend zwischen den Rollen. Einzig der Faust wird von nur einem Schauspieler (Tilo Nest) gegeben. Den Mephisto spielt meist Joachim Meyerhoff, der sich die Rolle aber auch mit Yohanna Schwertfeger, Stefan Wieland, Nest und Caroline Peters teilt.
Die Handlung wird durch phasenweise simples Erzählen von Ereignissen vorangetrieben, dazwischen verwebt sich der Originaltext mit heutigem Material.
Viel Geduld, viel Applaus
Das Publikum hielt lange durch, nach insgesamt sieben Stunden zeigten sich die Zuseher insgesamt sehr wohlwollend. Den großen Jubel gab es bereits einige Stunden zuvor für das Ensemble von "Faust I", allen voran Voss.
Eines wird deutlich: Selbst wenn Text und Darsteller den Abend tragen, reicht es nicht, sich ohne Vision an diesen Stoff zu wagen, um ihm gerecht zu werden. Auch nicht für einen Burgtheater-Direktor.
"Kunst vom Scheitern nicht trennbar"
Hartmann selbst hatte nach eigenem Bekunden das Scheitern durchaus eingeplant. Im ORF2-Interview am Premierenabend meinte Hartmann, man könne Theaterprozesse nicht kalkulieren wie einen Computer. Kunst könne man vom Scheitern gar nicht abtrennen. Entscheidend sei nur, wie es rezipiert werde - Video dazu in iptv.ORF.at.
In ORF2 verfolgten bis zu 172.000 Zuseherinnen und Zuseher den Theaterabend "Faust geballt". Im Durchschnitt hatte die zweistündige Sendung 92.000 Zuschauer und erreichte einen Marktanteil von neun Prozent.
Sophia Felbermair, ORF.at
Links:
- Burgtheater
- Faust I (Wikipedia)
- Faust II (Wikipedia)