Im Oktober begehen die Chinesen das 60-jährige Republiksjubiläum; Mao hatte am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China ausgerufen. Teil der Feierlichkeiten sind gigantische "Turandot"-Aufführungen im 90.000 Zuschauer fassenden Nationalstadion in Peking, dem "Vogelnest".
Zhang Yimou führt Regie
Die einst verpönte Oper inszeniert niemand Geringerer als der einst verpönte Filmemacher Zhang Yimou, der spätestens seit seinen Mega-Shows zur Eröffnung und zum Abschluss der Olympischen Spiele im Vorjahr die erste Anlaufstelle für chinesische Machtdarstellungen ist.
Nicht authentisch
Die Auswahl von "Turandot" ist ein 180-Grad-Schwenk. Viele Chinesen empfanden "Turandot" bisher nicht ganz zu Unrecht als beleidigend. Puccini kannte China nur aus Berichten, und an einer authentischen Handlung war er nicht interessiert.
Es geht um eine kaltblütige Prinzessin, die ihre Verehrer köpfen lässt, wenn sie nicht drei von ihr gestellte Rätsel lösen können. Die Handlung hat mit der chinesischen Geschichte so gut wie überhaupt nichts zu tun und vermischt hemmungslos Versatzstücke aus verschiedensten Epochen.
Spieluhr als Inspiration
Es handle sich um eine "unbewusste Sichtbarmachung von rassistischer Arroganz", zitierte die "Los Angeles Times" die US-Musikwissenschaftler William Ashbrook und Harold Powers.
Das einzige authentische Detail ist laut Ashbrook und Powers eine Melodie, die Puccini bei einer aus China importierten Spieluhr eines befreundeten Händlers aufschnappte und in die Oper einbaute.
"Blutrünstige Haltung"
Als problematisch empfand das Regime bisher auch, dass die Herrschenden in "Turandot" als brutal und unterdrückend dargestellt werden. Nach dem Tiananmen-Massaker 1989 wurden geplante Vorstellungen der Oper in Peking und Schanghai sofort abgesetzt.
Es handle sich um "keine bequeme Oper, weil sie das Volk zu blutrünstigen Handlungen verleiten könnte", schrieb die staatliche Nachrichtenagentur.
Neuer Schluss
Doch trotz aller Vorbehalte erlebte "Turandot" in China in den letzten Jahren eine Renaissance. Im Vorjahr wurde mit der Oper das riesige neue Nationale Zentrum für Darstellende Künste in Peking eingeweiht.
"Turandot" war Puccinis letzte Oper und blieb unvollendet. Statt des meistens verwendeten Finales des Italieners Franco Alfano beauftragte das Zentrum einen chinesischen Komponisten mit einem alternativen Schluss.
Hao Weiya schuf ein neues, 18-minütiges Finale, in dem Prinzessin Turandot in einer neuen Arie erklärt, warum sie am Ende ihre Kälte verliert und sich in ihren Verehrer Calaf verliebt. Am Ende ist also alles eitel Wonne, und Hao lässt die Oper in seiner Version mit dem von Puccini zuvor mehrmals zitierten Volkslied enden.
Puccini und Revolutionsopern
Puccini steht überhaupt hoch im Kurs: In dem neuen Zentrum fand heuer Chinas erstes Opernfestival statt.
Vier der neun Opern auf dem Programm stammten von dem italienischen Komponisten, daneben wurden auch Klassiker des revolutionären Musiktheaters gezeigt - etwa "Tochter der kommunistischen Partei", eines der "acht Modellstücke", der einzigen Opern und Theaterstücke, die während der Kulturrevolution erlaubt waren.
Vielbeschäftigter Zhang
Für das Opernspektakel im Vogelnest wird Zhang teilweise seine frühere "Turandot"-Inszenierung aus dem Jahr 1995 recyceln, aber um neue Effekte und Massenszenen bereichern.
Das chinesische Regime hat auch für die weiteren Feierlichkeiten zum Jubiläum der Volksrepublik den Regisseur sowie die Kulturtruppe der chinesischen Volksbefreiungsarmee engagiert, das Dream-Team der Olympia-Propaganda also.
Stadion in der Krise
Günstiger Nebeneffekt: "Turandot" und die anderen Jubiläumsfeierlichkeiten sollen dem "Vogelnest" zu einem dringend notwendigen Popularitätsschub verhelfen.
Das Stadion mit dem spektakulären Design leidet seit dem Ende der Olympischen Spiele unter Besucherschwund, woran auch massiv gesenkte Eintrittspreise bisher nichts ändern konnten. Inzwischen gibt es sogar Pläne, Teile des Gebäudes in ein Einkaufszentrum umzubauen.
Links:
- Turandot (Wikipedia)
- China.org.cn (Offizielles Portal der Volksrepublik China)
- "Los Angeles Times"-Artikel