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©Bild: AFP/MEMORIAL |
Beide Kreml-Kritikerinnen starben jeweils einen Tag vor den traditionellen Petersburger Gesprächen zwischen Deutschland und Russland. Und wie bei Politkowskaja wurden auch kurz nach Estemirowas Tod Verbindungen zu dem Kreml-treuen Präsidenten der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, gezogen.
Medwedew statt Putin
2006 traf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den damaligen Präsidenten Wladimir Putin. Bei dem diesjährigen Treffen stand Merkel vergangene Woche Präsident Dimitri Medwedew gegenüber.
Im Gegensatz zu Putin, der 2006 nach dreitägigem Schweigen Politkowskajas Einfluss auf das politische Leben in Russland als "äußerst bedeutungslos" bezeichnet hatte, drückte Medwedew sofort seine Empörung für diese Tat aus und forderte harte Strafen für die Täter.
Ähnlich reagierte auch Kadyrow. Er warf den Tätern vor, mit diesem Verbrechen das Ansehen der Völker der Republiken Tschetschenien und Inguschetien "in den Dreck gezogen" zu haben. Er selbst wolle persönlich die Ermittlungen kontrollieren. Sein Sprecher Alwi Kerimow kündigte ein offizielles und "ein inoffizielles Ermittlungsverfahren nach tschetschenischer Tradition" an. Was das bedeuten soll, blieb offen.
"Persönliche Feindin" Kadyrows
Die bekannte Menschenrechtsorganisation Memorial hingegen gibt Kadyrow die Schuld an dem Mord. Memorial-Chef Oleg Orlow erinnerte daran, dass Kadyrow Estemirowa "beleidigt" und als seine "persönliche Feindin" bezeichnet habe. "Wir wissen nicht, ob er selbst den Befehl gegeben hat oder einer seiner engen Vertrauten, um ihm zu gefallen."
Kadyrow entgegnete diesen Vorwürfen mit einer Klagsdrohung. Russische Behördenvertreter haben mittlerweile aber offiziell bestätigt, dass der Mord an Estemirowa mit ihrem Einsatz für die Menschenrechte in Zusammenhang stehen dürfte.
Memorial hat inzwischen Konsequenzen gezogen und seine Arbeit in Tschetschenien eingestellt. "Wir können das nicht weiter riskieren, da unsere Arbeit lebensgefährlich ist", sagte das Vorstandsmitglied Alexander Tscherkassow am Samstag dem Moskauer Radiosender Echo Moskwy.
Unangenehme Recherchen
Estemirowa arbeitete eng mit Politkowskaja zusammen. Wie ihre Kollegin veröffentlichte sie in der regierungskritischen Zeitung "Nowaja Gaseta" Berichte über grobe Menschenrechtsverstöße in Tschetschenien. Dabei hatte sie auch die tschetschenischen Innenbehörden und Sondereinsatzkräfte beschuldigt, an Entführungen, Morden und Folterfällen selbst beteiligt gewesen zu sein. Dadurch schuf sie sich Feinde.
"Ich fühle, dass ich die Arbeit von Anna Politkowskaja fortsetzen muss", hatte sie einmal gesagt. Der Gefahr war sie sich bewusst. Vor kurzem veröffentlichte Estemirowa, dass Kadyrows Leute in einem tschetschenischen Dorf Bewohner überfallen und einen Mann öffentlich hingerichtet hätten.
Informantin für den Westen
Als Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Memorial sammelte die 50-Jährige in Vermisstenfällen Hinweise auf Entführungen, Folter und Morde. Als Informantin war Estemirowa vielen westlichen Journalisten vertraut. Doch wer mit ihr sprechen wollte, musste sich oft an geheimen Orten gegen den Widerstand der Behörden Kadyrows mit ihr verabreden.
Kurz vor ihrem Tod legten Kollegen auf einer Pressekonferenz in Moskau einen Bericht über fast tausend gewaltsame Todesfälle von Zivilpersonen während der tschetschenischen Kriege vor. Vor dieser Veröffentlichung soll es Drohungen gegeben haben.
Tägliche Kämpfe
Erst vor kurzem ging Estemirowa dem gewaltsamen Tod einer jungen Frau in Tschetschenien nach und kritisierte, dass die Gewalt in der Region wieder drastisch zugenommen habe. Fast täglich sterben bei Kämpfen russischer Sicherheitskräfte und islamistischer Rebellen im Nordkaukasus Menschen.
Am Straßenrand gefunden
Estemirowa wollte sich noch am Tag ihrer Ermordung nach Angaben ihrer Freunde und Kollegen mit Vertretern des moskautreuen tschetschenischen Innenministeriums und mit Familien von Entführungsopfern treffen. Dann wurde sie in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny entführt und mit zahlreichen Schüssen ermordet.
Vergangenen Donnerstag wurde Estemirowa in ihrem Heimatort Koschkeldi beigesetzt.
Links:
- Russische Regierung
- Russischer Präsident
- Memorial (Wikipedia)