Überall sehnten sich Menschen nach Orientierung. Diese bot die Lehre Calvins, des strengen Reformators in Genf, der das Leben der frühen Neuzeit beeinflusste wie wenige andere. Ein Überblick seiner wichtigsten Thesen:
Alle Macht liegt bei Christus
Der Calvinismus versteht sich als die Glaubenslehre der "nach Gottes Wort reformierten Kirche". Für Calvin ist Gottes Heiligkeit absolut, während der Mensch im Grunde schwach ist. Die katholische Kirche mit ihren Ritualen ist für Calvin verdorbenes Menschenwerk. Er selbst habe alle Hände voll zu tun gehabt, sich aus dem "Aberglauben des Papsttums" herauszureißen.
Ablasshandel und Reliquienverehrung dienen laut Calvin dazu, Gottes Souveränität anzukratzen - damit müsse aufgeräumt werden. Künftig soll nur noch die Schrift und nicht mehr die Tradition maßgeblich sein ("Sola Scriptura"), zweitens liegt alle Macht bei Jesus Christus und nicht bei der Kirche ("Solus Christus"), und drittens ist es einzig die Gnade Gottes, die den Menschen erlösen kann ("Sola Gratia").
Alles ist vorbestimmt
Für Calvin hat der Mensch mit Adams Sündenfall seinen freien Willen verloren. Mehr noch: Schon vor seiner Geburt steht fest, ob ein Mensch auserwählt oder verdammt ist, ob er in den Himmel oder in die Hölle kommt (Prädestination). Die Gründe dafür kennt nur Gott, ändern kann man dieses Schicksal nicht.
Die Gnade Christi gilt nicht für alle
Im Gegensatz zu Martin Luther geht Calvin nicht davon aus, dass Jesus für alle Menschen gestorben ist. Gerettet werden nur diejenigen Sünder, die das Glück haben, zur Gruppe der Auserwählten zu gehören. Ein Anlass, schicksalsergeben die Hände in den Schoß zu legen? Nicht für Calvin und die Menschen seiner Zeit: Weil sich nur die Eifrigen und Erfolgreichen halbwegs sicher sein konnten, von Gott auserwählt zu sein, führten seine Lehren bei vielen zu rastlosem Eifer.
Fleiß ist eine Tugend
Calvin erklärt Selbstdisziplin, Fleiß und Sparsamkeit zu wichtigen moralischen Tugenden. Damit, so eine verbreitete Ansicht, habe er den Menschen der frühen Neuzeit die für das Mittelalter typische Laxheit ausgetrieben.
Die Kirche züchtigt
Eine sittenstrenge Kirchenzucht - ausgeübt von der Gemeindeleitung - soll die Einheit der Kirche gewährleisten. Calvin sieht sie als "väterliche Rute" für diejenigen, die Fehler begangen haben. Oft ist dem Reformator vorgeworfen worden, damit den Weg für protestantische "Inquisitionsgerichte" geebnet zu haben, die die Menschen zu einem freundlosen Leben verdammten. Andere Biografen betonen eher seine fromme Absicht, Einheit und Frieden in den Gemeinden zu schaffen.
Armut ist eine Strafe
Besitzlosigkeit kann Calvin und seinen Anhängern zufolge eine Strafe Gottes für schwere Sünden sein. Dieser Generalverdacht setzt Besitzlosen jahrhundertelang schwer zu. Wer arm ist, muss sehen, wie er sich aus eigener Kraft nach oben arbeitet - und zwar ohne zu betteln. Allerdings nimmt auch die Armenfürsorge einen wichtigen Platz bei Calvin ein.
Erfolg ist eine Gnade
Mit dem Kommerz geht der in der Händlerstadt Genf lebende Calvin pragmatisch um: Niemand muss sich für seinen Reichtum schämen, sofern er ihn ehrlich erworben hat und sparsam lebt. Reiche können also durchatmen: Mit Calvin ist endlich klar, dass auch ihnen der Himmel offen steht. Auch die bis dahin verruchten Geldgeschäfte lässt der Reformator in neuem Licht erscheinen. Calvin - zunächst selbst häufig in Geldnöten - hält das Geldverleihen für akzeptabel, wenn der Schuldner nicht mit Wucherzinsen geschröpft wird.
Dass ein wichtiger Glaubenslehrer nun dem Kommerz seinen Segen gibt, hat weitreichende Folgen: Calvin drückt der atemberaubenden, kapitalistisch geprägten Entwicklung Mitteleuropas und Nordamerikas seinen Stempel auf.