"Wovon träumen die Iraner?"

1978 schrieb Michel Foucault eine Reihe von Artikeln über den Iran, wenige Monate vor der Iranischen Revolution.
Vor 25 Jahren, am 25. Juni 1984, ist der französische Historiker und Philosoph Michel Foucault gestorben. Knapp sechs Jahre vor seinem Tod scherte der Professor am College de France wieder einmal aus dem akademischen Leben aus, um sich in die, wie er es selbst beschrieb, politische "Feldforschung" zu begeben.

Mit seinem Kollegen Thierry Voeltzel flog er im September 1978 nach Teheran, um für den "Corriere della Sera" eine Serie von Iran-Reportagen zu verfassen.

Zweimal sollten beide knapp hintereinander in den Iran reisen und im Land eine Reihe an Oppositionellen und Geistlichen treffen. Dazu gehört auch eine persönliche Begegnung Foucaults mit Ajatollah Chomeini, der im Oktober 1978 in Neuples-le-Chateau vor den Toren von Paris die letzte Station seines über 14-jährigen Exils gefunden hatte.

"Geburt von Ideen beiwohnen"
"Der Geburt von Ideen und der Explosion ihrer Kraft muss man beiwohnen", schreibt Foucault über die Motivation seiner Iran-Reportagen. Ursprünglich hatte der "Corriere" Foucault zu einer Reihe kulturphilosophischer Artikel eingeladen. Doch Foucault wollte sich konkreten politischen Vorgängen widmen.

Entstehen sollte eine offene, zugleich aber auch ambivalente Auseinandersetzung mit dem Islam und seiner Verbindung mit einer poltischen Revolution. Foucaults Artikel erschienen zu einer Zeit, in der der Lauf der politischen Ereignisse noch nicht abschätzbar war. Sie zeigten die anfängliche Begeisterung für eine Revolution, die auch im Westen durch die lange Aversion gegen die Politik des Schahs von Sympathien begleitet war.

Vergleich mit Spanien
"Wovon träumen die Iraner", hieß einer der ersten Beiträge Foucaults, in denen er die Ereignisse im Iran auch mit der wenige Jahre zuvor erodierten Franco-Diktatur in Spanien verglich.

Es gebe aber große Unterschiede zwischen Spanien und dem Iran: "Da die wirtschaftliche Entwicklung gescheitert ist, konnte keine soziale Basis für ein modernes, liberales Regime westlicher Prägung entstehen", argumentierte Foucault: "Stattdessen entstand eine gewaltige Volksmasse, die in diesem Jahr explodierte. Sie erschütterte die im Wiederaufbau befindlichen Parteien und brachte gerade erst eine halbe Million Menschen auf die Straßen Teherans, die Panzern und Maschinengewehren trotzten."

Können Geistliche ein Land führen?
Foucault dachte in Folge durchaus skeptisch über die Rolle eines Geistlichen bei der Führung einer politischen Bewegung nach. In Teheran habe er nie das Wort "Revolution" gehört, sondern "in vier von fünf Fällen" den Begriff "islamischer Staat".

"Iranisches Volk zeigt die Stachel"
Der Iran befinde sich im "Zustand eines politischen Generalstreiks", schrieb er wenig später im Text "Eine Revolution mit bloßen Händen" und präzisierte: "Damit meine ich einen Streik gegenüber der Politik."

Konkret finde dieser Streik in zwei Ausformungen statt - "als Ablehnung einer irgendwie gearteten Fortsetzung des bisherigen Regimes, des bestehenden Systems, seiner Apparate, seiner Verwaltung, seiner Ökonomie; aber zugleich auch als Ablehnung eines politischen Kampfes um die zukünftige Verfassung (...)". Das iranische Volk habe sich wie ein "Igel zusammengerollt" und zeige "allen die Stachel": "Sein politischer Wille ist es, der Politik keinen Raum zu geben."

Die Annahme eines "islamischen Staates", so Foucault, brächte die politischen Parteien in eine "unangenehme Lage": Entweder müssten sie eines der zentralen Themen der Volksbewegung ablehnen oder sich im Voraus Fesseln anlegen lassen, "indem sie eine Staatsform akzeptierten, die ihnen in jedem Fall nur einen sehr geringen Spielraum ließe".

Welche Form nimmt der Protest an?
Die Frage sei nicht, ob der Schah gehe oder bleibe, sondern welche Form der "nackte und massive Wille" annehme, der schon lange Nein zu einem Herrscher sage.

Faszination und Ambivalenz
Die Artikel, die von Foucault in den folgenden Wochen folgten, zeigen die Ambivalenz weiter: Die Faszination an der politischen Bewegung im Iran - und zugleich die problematische Rolle des "mythischen Oberhaupts der Revolte im Iran" (so der Titel eines Artikels im "Corriere" vom 26. November 1978, dem Foucault den Titel "Der iranische Wahnsinn" geben wollte).

Foucault beschrieb in diesem Text die unglaubliche Wirkung der Figur Chomeinis auf die Bewegung im Iran. Drei Faktoren stachen Foucault ins Auge: "Chomeini ist nicht da, (...) er sagt nichts außer Nein: zum Schah, zum Regime, zur Abhängigkeit, (...)", "und Chomeini ist kein Politiker." Mit Kategorien zur Revolution des 18. Jahrhunderts vermag Foucault die Bewegung des Iran nicht zu messen. "Das ist vielleicht die erste große Erhebung gegen die weltumspannenden Systeme, die modernste und irrsinnigste Form der Revolte", schrieb er in einer Mischung aus Bewunderung und Irritation.

Realität überholt Foucault
Foucault wurde in seiner Bewunderung der Vorgänge im Iran bald von der Wirklichkeit überholt. Mit der Rückkehr Chomeinis in den Iran standen erneut Exekutionen und Unterdrückung an der Tagesordnung.

In Frankreich gingen Foucault ausgerechnet alte Maoisten an den Kragen. "Woran denken die Philosophen", hieß ein Artikel von Claudie und Jacques Broyelle in der Zeitung "Le Matin" im Frühjahr 1979, in dem Foucaults Beitrag "Wovon träumen die Iraner?" spöttisch demontiert wurde.

Trotzige Rechtfertigung
Foucault reagierte gekränkt: zunächst in einem offenen Brief an Mehdi Basargan, den Premier der "islamischen Regierung", in dem er an ein Gespräch in Qom erinnerte, in dem Basargan die Menschenrechte durch den Willen des Volkes und die geistliche Dimension hinter der Bewegung im Iran garantiert gesehen habe.

Einen Monat später verteidigte sich Foucault in "Le Monde" leicht trotzig gegenüber der Kritik: Er bleibe weiterhin ein Intellektueller, der "unterhalb der Geschichte" auf das lauere, "was sie unterbricht und antreibt". Politische und journalistische Interventionen sollte Foucault aber bis zu seinem Aids-Tod 1984 weitgehend unterlassen. Der Tod Sartres und die Erfahrungen der Iranischen Revolution markierten doch einen Bruch in der politischen Biografie Foucaults.

Symptomatische Reaktion?
Für die US-Forscher Janet Afary und Kevin B. Anderson, die dem Thema Foucault und Iran im Jahr 2004 eine große Studie in Buchform widmeten ("Foucault and the Iranian Revolution: Gender and the Seductions of Islamism"), ist Foucaults Haltung zum Iran kein politischer Ausreißer.

In Foucaults Haltung zum Iran sei nicht nur seine abschätzige Position gegenüber dem Feminismus ablesbar (hätten doch gerade Feministinnen wie Simone de Beauvoir zur Wende 1978/79 Einwände zur problematischen Richtung der Revolution vorgebracht); erkennbar sei in den Schriften über den Iran vor allem Foucaults "einseitige Kritik der Moderne".

"Ein Irrtum, den wir alle teilten"
Foucault-Biograf Didier Eribon erinnerte dagegen daran, dass Foucault zu seiner Zeit nicht allein war in der Faszination für eine Revolution, "die sich der Politik oder zumindest abendländischen politischen Kategorien entzog".

Jean Daniel, eine der publizistischen Leitfiguren Frankreichs, hatte die Iran-Debatte bei Foucaults Tod aufgenommen und darauf verwiesen, dass die Haltung zum Iran ein "Irrtum gewesen sei, den wir alle teilten". Auch "Liberation"-Mitgründer Serge July bekannte Ende der 80er Jahre, er habe damals genau wie Foucault gedacht und Ähnliches geschrieben.

Nachzulesen sind Foucaults Beiträge zum Iran im dritten Band seiner nachgelassenen Schriften ("Dits et Ecrist. Schriften", Suhrkamp). So manche Beobachtung dessen, was sich 1979 abspielte, mag an die Gegenwart erinnern - wenn auch unter anderen Vorzeichen.

Gerald Heidegger, ORF.at

Links: