Drei Stunden Rückblende
Der Schuss fällt bereits zu Beginn. Der getroffene Versicherungsagent Walter Ness liegt in den Armen seines Chefs und väterlichen Freundes Barton Keyes und beichtet. Die verbleibenden drei Stunden sind eine oft mit sarkastisch pointierten Dialogen versehene Rückblende auf die Planung und Durchführung eines - fast - perfekten Mordes.
Zumindest der Plan war perfekt. Ein als Unfall getarnter Mord in einem Zug sollte der Ehefrau Phyllis Robinson aus einer Unfallversicherung sogar noch die doppelte Versicherungssumme - eine Million Dollar - bringen (Double Idemnity). Das sollte beiden an dem Mord Beteiligten, Phyllis und Walter, eine neue Existenz ermöglichen.
Aus der Sicht des Mörders Ness, hervorragend gespielt von Pierre Bokma, wird in teils spannenden, teils zu detailverliebten Szenen die Geschichte des unscheinbaren, aber erfolgreichen Versicherungsagenten Ness erzählt, der in einem Netz aus Gier, Lügen und Leidenschaft gefangen ist.
Reale Grundlagen
Simons zeichnet ein Bild aus dem Kalifornien der 30er Jahre. "Instinct" ist eine Bühnenadaption basierend auf einer wahren Mordaffäre - dem Fall Snyder/Grey aus dem Jahr 1927. Schriftsteller James M. Cain verwendete Teile aus diesem Prozess für seine Novelle "Three of a Kind".
Regisseur Billy Wilder verfilmte diese Affäre 1944 in seinem Film "Frau ohne Gewissen". Beide Grundlagen nutzend, brachte Simons in einer Uraufführung für das Nationaltheater Gent die Bühnenadaption bereits 2007 ins Theater.
Prototyp des Film Noir
Wilders Film gilt als Prototyp des Film Noir: Es wird eine Welt voller Verrat, Schuld und Zwielichtigkeit beschrieben. Die Akteure absolvieren moralisch verwerfliche Handlungen und erzeugen dennoch Sympathie beim Publikum. Auch der Protagonist Ness auf der Bühne erzeugt Mitgefühl. Die Ästhetik des Film Noir bringt Simon in einer unaufwendigen Inszenierung, mit spärlich eingesetzten Möbeln auf die Bühne.
"Krankhafte Erregung"
Gemeinsam mit Phyllis Robinson plante Ness die Ermordung ihres Ehemannes, um dann die Summe aus der mit einer List von ihr und Ness abgeschlossenen Unfallversicherung zu kassieren. Berauscht von Leidenschaft und Spieltrieb wird er zur Beute der unberechenbaren Femme fatale, kühl und souverän gespielt von Elsie de Brauw.
"Krankhafte Erregung" zieht ihn immer wieder zu Phyllis hin, die ihn durch abwechselnde Ablehnung und Zuneigung nur noch abhängiger macht. "Ich hatte viele schwache Männer. Ich will, dass du eine Ausnahme bist" - Aussagen wie diese ließen ihn hörig bleiben.
Für Frau und Geld
"Ich habe ihn ermordet für Geld und eine Frau und habe nun keines von beiden", beginnt der angeschossene Versicherungsagent Ness seine Beichte gegenüber seinem Chef Keyes, der lange nicht glauben kann, dass sein Schützling diese Tat begangen hat.
Erst Keyes' detektivische Fähigkeiten, sein "Instinkt", bringen Ness in Bedrängnis. Keyes spricht als Erster von Mord im Fall Robinson und bringt auch gleich einen Zeugen. Vor allem gegen Ende fühlt man sich immer mehr wie in einem Krimi.
Wie Kaninchen und Klapperschlange
Ness gerät nach dem Mord immer mehr in Zwiespalt zwischen dem integren und loyalen Chef Keyes und der gefährlichen Anziehungskraft von Phyllis. "Ich liebte sie wie ein Kaninchen seine Klapperschlange", versucht sich Ness gegenüber Keyes mit einem Vergleich zu erklären.
Als letztlich auch noch die Tochter des Ermordeten, Lola, ihre Stiefmutter des Mordes an ihrem Vater beschuldigte, sieht Ness keinen anderen Ausweg, den Mord zu vertuschen, als Phyllis selbst zu erschießen. Diese hatte ähnliche Gedanken. Ihr Schuss, am Anfang des Stücks deutlich hörbar, trifft Ness und verletzt ihn.
Schuld nicht akzeptiert
Sein Geständnis kann er noch ablegen. Entgegen Wilders Filmende, wo Ness als Verantwortlicher für den Mord angenommen wird und stirbt, will Keyes die Schuld seines Mitarbeiters hier nicht akzeptieren. "Wir gewinnen nicht, wenn du verlierst", hat er den Ruf des Versicherungsunternehmens im Sinn. Lola und ihr Freund müssen offiziell für die Ermordung Robinsons büßen.
Ness ringt vergebens um die Akzeptanz seiner Schuld und muss kurz vor seinem Tod feststellen, dass nicht einmal der integre Keyes "genug Mut für die Wahrheit" hat und stattdessen die Loyalität zum Unternehmen in den Mittelpunkt rückt.
Gemischte Reaktionen
Die Aufarbeitung des Sittenbildes und der moralischen Schuld der handelnden Akteure stieß auf unterschiedlich positive Reaktionen im Publikum. Wer trotz einiger Längen im Stück bis zum Ende blieb und die deutschen Untertitel der niederländischen Dialoge mitverfolgte, wurde mit einem spannenden Finale belohnt.
Die Schauspieler hatten dank der Dialoge einige Lacher auf ihrer Seite und ernteten Bravorufe zum Schluss. Das Ende erlebten einige Zuseher gar nicht, denn nach der Pause lichteten sich die Reihen im Publikum.
Simone Leonhartsberger, ORF.at
Links:
- Instinct (Festwochen)
- "Frau ohne Gewissen" (Wikipedia)