Symbolfigur des Widerstands

Auch Regime dürfte keine Ahnung vom Verbleib des Mannes haben.
Das Bild des jungen Mannes ist um die Welt gegangen: Am 5. Juni 1989, die Proteste auf dem Tiananmen-Platz in Peking waren in den Stunden zuvor blutig niedergeschlagen worden, stellte er sich unweit davon in der Dong Changan Jie, einer Straße, die zum Platz führt, den Panzern in den Weg.

Der Mann wurde zur Symbolfigur des Widerstands gegen das Regime, zumindest im Westen. In China selbst wurde peinlich genau darauf geachtet, die Bilder davon nie öffentlich werden zu lassen. Und bis heute ist das Schicksal des "Tank Man", des "unbekannten Rebellen", ein Rätsel.

Mann gegen Panzer
Mit einem weißen Hemd bekleidet und Einkaufstaschen in beiden Händen stellt er sich plötzlich vor die Panzer. Augenzeugen trauten ihren Augen nicht. Anders als in den Stunden davor, in denen das Militär mit aller Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen war, zeitigte sein Verhalten Wirkung.

Der Panzer blieb stehen, versuchte mehrmals auszuweichen, doch immer wieder stellte sich der junge Mann in den Weg, kletterte schließlich auf das Kriegsgerät und versuchte, den Fahrer in ein Gespräch zu verwickeln. "Warum bist du hier? Meine Stadt liegt im Chaos wegen dir", soll er gesagt haben. Mehrere Männer schnappten den Mann schließlich und zerrten ihn in die Menge der Zuschauer.

Zeitung nennt Namen
Wer der Mann ist, blieb seither ungelöst. Er könnte der Sohn eines Fabrikarbeiters sein, wurde spekuliert, andere sprachen von einem Mann aus der Provinz, der gerade erst in der Hauptstadt angekommen war.

Eine britische Zeitung berichtete wenig später, sein Name sei Wang Weilin, ein 19-jähriger Student. Das sei eine reine Erfindung der Presse, hieß es aus Peking. Trotzdem seien alle gleichnamigen Männer Chinas - ohne Erfolg - überprüft worden, wurde später kolportiert.

Das wiederum widerspricht den Aussagen eines Beraters von Ex-US-Präsident Richard Nixon, der behauptet hatte, der Mann sei gefasst und hingerichtet worden. Chinas Staatspräsident Jiang Zemin dementierte 1990 die Frage der US-Journalistin Barbara Walters, ob der Mann getötet worden sei.

Flucht nach Taiwan?
Offenbar war er nach seiner Aktion nicht von Sicherheitskräften verhaftet, sondern von Passanten in Sicherheit gebracht worden und konnte nachher untertauchen. 2006 kam auch der US-Filmemacher Antony Thomas in seiner Dokumentation über den "Tank Man" zu dem Schluss, dass der Name Wang Weilin offenbar jeder Grundlage entbehrt, und es keinerlei Anhaltspunkte über seinen Verbleib gibt.

Im selben Jahr behauptete eine Zeitung aus Honkong, er arbeite als Archäologe in einem Museum in Taiwan. Einen Beweis blieb das Blatt schuldig, das Museum dementierte.

Berühmtheit ohne Identität
Auch ohne Namen und Gesicht schaffte es der Mann in die Liste der einflussreichsten Personen des 20. Jahrhunderts des "Time"-Magazins. "Ein Jedermann, der sich gegen die Maschinerie, die Kraft und das gesammelte Gewicht der Volksrepublik, der größten Nation der Welt stellt", schrieb die "Time" damals.

Dass der Unbekannte zur Ikone des Aufstands werden konnte, ist vier Fotografen und den Kamerateams von BBC und CNN zu verdanken, die den Moment festhielten. Charlie Cole für "Newsweek", Stuart Franklin von Magnum, Jeff Widener für AP und Arthur Tsang Hin Wah von Reuters fotografierten die Szene jeweils aus unterschiedlicher Perspektive.

Auf die Interviews meldete sich nun auch Terril Jones bei der "New York Times", ein Fotograf, der den "Tank Man" aus gänzlich anderer Sicht - nämlich vom Boden aus - fotografiert und das Bild bisher nur Freunden gezeigt hatte.

Beschlagnahme nur knapp entgangen
Cole erhielt für das Bild den World Press Award. "Stuart und ich schauten uns angesichts dessen, was wir gesehen und fotografiert haben, ungläubig an", schildert Cole gegenüber der "New York Times", die alle vier Fotografen zu ihren Eindrücken von damals befragte. Durchgängig schildern sie auch, der Beschlagnahme der Bilder durch die Behörden nur knapp und durch List entgangen zu sein.

Meistzensuriertes Bild
In den folgenden Jahren waren die chinesischen Behörden erfolgreicher: Die Bilder des Mannes seien die am häufigsten zensurierten, schreibt die "Welt". In keiner Fernsehsendung, in keinem westlichen Magazin, das in China erhältlich ist, durften sie vorkommen.

Auch im Internet wurde das Bild fast flächendeckend blockiert. Lediglich in Sozialen Netzwerken wie Facebook gelang es in letzter Zeit, der Zensur einigermaßen zu entgehen. Trotzdem ist der "Tank Man" in China weitgehend unbekannt - sogar bei vielen von denen, die seinen Weg fortsetzen, den Dissidenten von heute.

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