Staatliche Investitionen lassen das Budgetdefizit 2010 bereits nach jetzigen Berechnungen auf 1,3 Billionen Dollar explodieren. Der Leitzins liege schon seit Mitte Dezember bei null und könne deshalb nicht weiter gesenkt werden, lautet das Dogma.
Aber angesichts der unsicheren Lage wird neben dem Ankauf von Wertpapieren durch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) auch ein Modell breiter diskutiert, das sonst nur als theoretische Fingerübung für Ökonomen existiert.
Was wäre, wenn?
Die zentrale Frage dabei lautet: Was wäre, wenn die Zinsen doch unter null gesenkt würden? Ganz konkret würde das zunächst heißen: Wer sich Geld ausleiht, muss am Ende weniger zurückzahlen, als er sich zu Beginn ausgeliehen hat.
Wer Geld anspart, muss einen Teil davon als Steuer abliefern. Es wäre also im Interesse der Banken, Geld zu verleihen, auch wenn das etwas kostet, weil das Horten des Geldes noch teurer käme.
Fed hat Modell in der Schublade
Die Idee dahinter: Geld liegen zu lassen soll sich nicht auszahlen, Schuldenmachen und Investieren hingegen schon. Die Fed hat laut "Financial Times Deutschland" ("FTD") ein entsprechendes Modell in der Schublade, wonach fünf Prozent Minus bei Zinsen derzeit angemessen wären.
Und selbst in der "New York Times" wurde öffentlichkeitswirksam darüber diskutiert. Für realistisch hält diese Variante derzeit freilich niemand.
Die Alternativen zum Sparstrumpf
Guido Schäfer, Ökonom an der Wiener Wirtschaftsuniversität, nennt die Idee auch kontraproduktiv. Zunächst einmal würde das angesparte Geld (das man ja schnell loswerden müsste) nicht automatisch so investiert, dass dadurch gesellschaftliche Produktivkraft frei würde, so Schäfer gegenüber ORF.at.
Viele Sparer würden eben auf Gold umsteigen oder auf Finanzprodukte, die von einer "Geldhaltesteuer" nicht betroffen wären. Eine solche Steuer sei außerdem schwer einzuheben - vor allem was Bargeld betrifft, das zu Hause, "im Sparstrumpf", gehortet wird.
Mit jedem Geldschein "stempeln" gehen
Hier müsste man sich etwas überlegen - und die Modelle hören sich kurios an. Schäfer nennt etwa eine Methode, über die der US-Ökonom Gregory Mankiw in der "New York Times" berichtete. Ein Student von Mankiw habe sie ersonnen.
Demnach sollte die Fed verlautbaren, dass am Ende eines Jahres jeder Geldschein mit einer Seriennummer, die auf eine bestimmte Ziffer zwischen null und neun endet, vernichtet wird. So hätten die Menschen zehn Prozent "Geldhaltesteuer" bezahlt. Welche Endziffer ausgewählt wird, dürfte erst am Stichtag verraten werden.
Einen ähnlichen Vorschlag präsentierten bereits 2003 die beiden Ökonomen Willem H. Buiter und Nikolaos Panigirtzoglou in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift "The Economic Journal". Sie schlugen vor, dass Geld, wenn man es erhält, abgestempelt werden muss. Gibt man es in einem vorgegebenen Zeitraum nicht aus, muss dafür Steuer bezahlt werden - andernfalls verliert es seinen Wert.
Gleichzeitig "Verbrechenssteuer"?
Die beiden Studienautoren benennen gleichzeitig das Problem einer solchen Geldpolitik. Es seien hauptsächlich ärmere bzw. hier besonders ältere Menschen, die Bargeld ansparen würden. Die Steuer träfe also die Falschen.
Neben ihnen wäre aber noch eine weitere, nicht zu unterschätzende Gruppe betroffen: kriminelle Organisationen. Hier spiele Bargeld eine große Rolle. Es wäre, wenn man so will, ein positiver Aspekt, wenn auch Drogenbosse Steuern zahlen müssten, weil das "Beutegeld" ansonsten wertlos würde.
Falsche Methode, falscher Zeitpunkt?
Gerade zum jetzigen Zeitpunkt, so Schäfer, wäre die Fed schlecht beraten, negative Zinsen einzuführen. Sie müsse jedes Interesse daran haben, "dass im Inland zur Stimulierung des Finanzsektors und im Ausland zur Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits die Leute bereit sind, in großen Mengen mehr Dollars zu halten".
Fazit: "Nicht ernst zu nehmen"
Schäfers Fazit: Gedankenspiele dieser Art seien als reale Politikoption kaum ernst zu nehmen, da hierdurch das Vertrauen in das Geldwesen nachhaltig gestört würde.
"Die Leute würden in andere Währungen, Gold, reale Werte etc. fliehen, wodurch die Krise noch verschärft würde. Ein expansiver Effekt einer solchen Maßnahme auf die Volkswirtschaft wäre höchst fraglich. Eine Sanierung der eigentlichen Ursachen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ist dadurch kaum zu erwarten."
Hoffnungsschimmer für Häuslbauer
Buiter und Panigirtzoglou sprachen sich 2003 dagegen aus, die Idee gänzlich zu verwerfen. Es komme genau wie bei einer Finanzpolitik unter Vorzeichen positiver Zinswerte auf ein Gleichgewicht der begleitenden Maßnahmen an. Möglicherweise, schließen sie ihre Ausführungen, würden negative Zinssätze eines Tages mehr als nur akademisches Interesse hervorrufen.
Die derzeit in der Debatte über die Kreditklemme gerne strapazierten Häuslbauer müssen die Hoffnung also nicht ganz aufgeben, eines Tages an ihrem Kredit noch zu verdienen.
Schließlich, sagt Mankiw, hätten die Menschen ursprünglich auch nicht an die Sinnhaftigkeit negativer Zahlen an sich geglaubt. Heute wisse jedes Schulkind durch den Mathematikunterricht, dass negative Zahlen für das Lösen von Problem unabdingbar sein können. Vielleicht gelte das ja auch für die Zinspolitik.
"Vielleicht doch mehr als Science-Fiction?"
Und auch Schäfer räumt ein, dass die mit der Einführung negativer Nominalzinsen verbundenen problematischen Effekte teilweise nur aufgrund ihrer negativen Signalwirkung und ihrer psychologischen Effekte auftreten. Denn Tatsache sei, dass auch unter "normalen" Umständen die Geldhaltung in dem Sinne besteuert werde, dass die Inflation einen Teil des realen Wertes unseres Geldes auffrisst.
Diese Wertverluste bewegen sich in ähnlichen Größenordnungen, wie sie bei der Besteuerung des Geldes für die Durchsetzung negativer Nominalzinsen erforderlich wären. "Vielleicht wird die Sache eines Tages also doch mehr als ein Stück Science-Fiction", so Schäfer.
Simon Hadler, ORF.at
Links:
- "New York Times"-Artikel
- "FTD"-Artikel
- Fed
- Wirtschaftsuniversität Wien (Department of Economics)