"Extrem seltener Glücksfall"

Mindestens 35.000 Jahre alte Frauenfigur bei Grabungen in Baden-Württemberg entdeckt.
Archäologen der Universität Tübingen glauben, in der Schwäbischen Alb in Deutschland die älteste Menschenfigur der Welt entdeckt zu haben.

©Bild: APA/EPA/Marijan Murat
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Die "Venus vom Hohle Fels" wurde vor über 35.000 Jahren hergestellt und ist eines der ältesten Beispiele für figürliche Kunst überhaupt, wie die Wissenschaftler am Mittwoch in Tübingen erklärten.

Künstlerischer Ausdruck von Fruchtbarkeit
Die etwa sechs Zentimeter große Statuette aus Mammutelfenbein habe "überdimensionierte Brüste", ein ausgeprägtes Gesäß und deutlich hervorgehobene Geschlechtsteile - ohne Zweifel seien die Geschlechtsmerkmale der Figur "bewusst übertrieben" worden.

Es handle sich mit großer Sicherheit um einen künstlerischen Ausdruck von Fruchtbarkeit.

Nur linke Schulter fehlt
Einen Kopf habe die Figur nicht, stattdessen sei über ihren Schultern ein sorgfältig geschnitzter Ring angebracht, der noch "Spuren von Politur" trage und darauf hindeute, dass die Figur als Anhänger getragen worden sei, erklärten die Forscher um den Urgeschichtler Nicholas Conard.

Die Figur sei in sechs Fragmenten etwa 20 Meter vom Höhleneingang entfernt gelegen. Bis auf den linken Arm und die Schulter sei die Figur vollständig erhalten. Das sei ein extrem seltener Glücksfall bei den Grabungen nach Elfenbeinkunst auf der Schwäbischen Alb.

Conard hegt zugleich Hoffnungen, auch die fehlenden Fragmente noch zu finden: Die "Venus" sei ganz am Rand des im vergangenen Jahr bearbeiteten Ausgrabungsgebiets gelegen. Es bestehe also die Hoffnung, die fehlenden Fragmente noch zu finden.

Neues Licht auf Entstehung der Kunst
Der Fund sei eine Sensation und werfe ein völlig neues Licht auf die Entstehung der Kunst in Europa und vermutlich auf der ganzen Welt. Nach Angaben der Tübinger Archäologen würde die Sicht auf die Bedeutung der frühesten altsteinzeitlichen Kunst "auf radikale Weise" verändert.

Die Annahme, dass figürliche Darstellungen und andere Artefakte mit symbolischem Inhalt erst in den späteren Phasen der Schwäbischen Altsteinzeit aufgetreten seien, sei nun widerlegt worden. Bisher waren aus dieser Phase der Altsteinzeit lediglich Tierdarstellungen bekannt. Der nun bekanntgegebene Fund beweise, dass sich Menschen deutlich früher als bisher gedacht mit der Darstellung menschlicher Körper beschäftigt hätten.

Erinnerung an Venus von Willendorf
©Bild: APA/EPA/Barbara Gindl
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Mit ihren sorgfältig dargestellten Händen erinnere die Statuette an Figuren wie die Venus von Willendorf, die vor hundert Jahren in Niederösterreich entdeckt wurde und etwa 10.000 Jahre jünger als die "Venus vom Hohle Fels" ist.

Bisher galt der vor 30 Jahren gefundene Adorant aus Geißenklösterle in Baden-Württemberg als älteste bekannte Menschendarstellung. Die in ein Elfenbeinplättchen geschnitzte Figur ist bis zu 35.000 Jahre alt.

Als älteste Frauenplastik der Welt galt bisher die rund 32.000 Jahre alte "Fanny vom Galgenberg". Die 7,2 Zentimeter große Steinplastik wurde 1988 auf dem Stratzinger Galgenberg nahe Krems in Niederösterreich gefunden.

Zeit des Aurignacien
Ganz in der Nähe der "Venus vom Hohle Fels" fanden die Forscher weiteres bearbeitetes Elfenbein, Knochen von Pferd, Ren, Höhlenbär und Mammut sowie Abfälle der Steinartefaktproduktion. Mit der Radiokohlenstoffmethode habe sich gezeigt, dass die Fundstücke zwischen 31.000 und 40.000 Jahre alt seien.

Die Statuette sei unterhalb von mehreren Schichten aus der Zeit des Aurignacien gefunden worden, der ältesten mit dem modernen Menschen in Verbindung gebrachten Kultur in Europa. Da sie ganz unten gelegen sei, sei ihr Alter nach Ansicht der Experten wohl mit dem Beginn des Aurignacien vor etwa 40.000 Jahren gleichzusetzen.

Auf der Schwäbischen Alb wurden in den vergangenen 100 Jahren rund 25 Elfenbeinschnitzereien gefunden, darunter das weltweit älteste Musikinstrument. Zu den ersten Kunstwerken der Menschheit werden zudem fünf Elfenbeintierfiguren gezählt, die im Juni 2006 ebenfalls bei Ausgrabungen auf der Schwäbischen Alb entdeckt wurden.

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