Das Buch verkaufte sich als Plädoyer für die Faulheit und damit unter seinem Wert. Denn es ging dem britischen Autor um mehr. Er formulierte eine akribisch recherchierte Kritik an der Entfremdung des Menschen in einer Gesellschaft, für die das Geldverdienen zum Selbstzweck geworden ist. 2009 liest sich das Buch aktueller den je.
Die Bösen
Gegner des Müßigganges habe es schon gegeben, seit Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, klagt Hodgkinson. Den finalen Schlag gegen Ruhe und Beschaulichkeit im Alltag führten aber erst die Verfechter der Industriellen Revolution.
Sie seien es gewesen, die "die Freude aus dem Leben getrieben haben", der Beelzebub sei Thomas Edison mit seinen Fabriken und der Erfindung der Glühbirne gewesen, die auch noch die Nacht als Arbeitszeit nutzbar machte. Das Teufelswerk setze sich bis heute fort, so Hodgkinson.
Angst - Geld - Arbeit
Heute habe sich aber längst eine Eigendynamik entwickelt, ein Kreislauf, der von einer unhinterfragten religiösen Gläubigkeit der Menschen an das System der Lohnarbeit in Schwung gehalten werde.
Der unbewegte Beweger, wie Aristoteles das Prinzip nannte, das die Welt in Gang hält, ist für dieses System das Hinnehmen einer gedanklichen Abfolge als zwingende Gegebenheit: Am Anfang steht Existenzangst, geschürt durch mediale Bilder von Armut, Elend und Versagen.
Als adäquate Medizin gegen diese Angst gilt Geld. Um zu Geld zu kommen, gehen die Menschen einer Erwerbsarbeit nach - Hodgkinson nennt sie deshalb "Lohnsklaven".
Nicht nur nichts tun
Hodgkinson geht dazu in Opposition - propagiert aber nicht das Nichtstun. Denn er weiß: Nichts zu tun macht nur Spaß, wenn man etwas zu tun hat. Ein selbstbestimmtes, ruhiges, beschauliches Leben müsse man führen, anstatt sich an ein Regelwerk zu halten, das der Profitmaximierung einiger weniger dient.
Sich unabhängig machen
Ein möglicher Ansatz wäre die Wahl des selbstständigen Unternehmertums, ohne dabei in die Falle aus Ehrgeiz und Selbstausbeutung zu tappen. Ein anderer Weg ist es, sich von Geld so weit wie möglich unabhängig zu machen.
Hodgkinson selbst etwa hat zu Hause einen Pub für sich und seine Freunde eingerichtet und wollte auch beginnen, selbst Bier zu brauen. Er erzählt von anderen Projekten, bei denen Wohngemeinschaften auf dem Land möglichst viel von dem, was sie konsumieren, auch selbst produzieren.
Ein Buch zum Tagträumen
Mit viel Schwung und Überzeugungskraft formulierte Hodgkinson seinen Appell. Er hält eine Predigt. Im Gegensatz zu anderen Büchern mit Mission liest man "Anleitung zum Müßiggang" gern, denn die Botschaft macht Spaß.
Man kann das Buch jederzeit zur Seite legen und ein Nickerchen machen. Hodgkinson erlaubt das, er verlangt es geradezu. Und dann träumt man von einem Dasein ohne Wecker, von Mittagsschläfchen unter der Woche, von einem kühlen Bier an einem heißen Sommernachmittag.
Kreativität durch Langsamkeit
Alles Dinge, die einem im Alltag ein schlechtes Gewissen bereiten. Genau dieses Gewissen beackert Hodgkinson. Denn - um wenige von seinen zahlreichen Beispielen anzuführen: Wer lange schläft, ist produktiver. Bei einem mußevollen Spaziergang können kreative Ideen entstehen, die dann in der Arbeit nutzbar sind.
Im Zuge einer ausgiebigen Mittagspause können im lockeren Gespräch mit Kollegen Probleme rasch gelöst werden, die im stressigen Arbeitsalltag noch gordische Knoten waren. Aber nicht nur praktische Beispiele liefert uns der Autor, er gründete übrigens die Zeitschrift "The Idler" (österreichisch: "Der Owezahra").
"Nur nicht faul zur Faulheit sein"
Auch in Sachen Theorie ist Hodgkinson ein sattelfester Müßiggänger. Zitatenreich ruft er Philosophen und Literaten aus über 2.000 Jahren Kulturgeschichte in den Zeugenstand. Manche, etwa die Hedonisten unter den alten Griechen, und Paul Lafargue im 19. Jahrhundert, waren regelrechte Vorkämpfer der Beschaulichkeit.
Gotthold Ephraim Lessing liefert überraschend das programmatische Eingangszitat des Buches: "Lasst uns faul in allen Sachen, Nur nicht faul zu Lieb' und Wein, Nur nicht faul zur Faulheit sein."
Adorno vergewaltigt
Andere wieder würden sich wohl im Grab umdrehen, wenn sie wüssten, wie Hodgkinson ihre Ideen für seine Zwecke missbraucht. Mit Theodor W. Adorno argumentiert er sein Loblied auf die Party- und Ecstasy-Kultur der Techno-Szene. Adorno war zu Lebzeiten schon der Jazz suspekt.
Appell für Kinderarbeit
Hodgkinson setzt auf Humor. Manchmal treibt er die Polemik auf die Spitze und verspielt einen Teil seiner durch stringente Argumentation erworbenen Glaubwürdigkeit.
So ist wohl nicht jeder Frühaufsteher automatisch ein Vollidiot, und warum ein Appell zur Kinderarbeit lustig sein soll, muss uns Hodgkinson ebenfalls erst erklären.
Argumente für ein besseres Leben
Dennoch ist die "Anleitung zum Müßiggang" höchst unterhaltsame Lektüre - und weit mehr als das: Sie liefert uns hochqualitatives argumentatives Unterfutter für ein Leben mit mehr Ruhe und Freude. Überzeugungsarbeit wird der Leser wohl zuallererst bei sich selbst leisten müssen.
"Ein Geschenk des Himmels"
In Großbritannien schlug "Anleitung zum Müßiggang" 2004 wie eine Bombe ein. Hodgkinson wurde von Zeitungen wie dem "Independent" ("... voller Weisheit und Witz ... ein Manifest für Veränderung ..."), der "Times" ("... eignet sich ebenso zur behaglichen Lektüre wie dazu, ein Leben zu verändern ...") und dem "Daily Telegraph" ("... ein Geschenk des Himmels ... Hodgkinson ist der Hohepriester des Nichtstuns ...") in den Himmel gelobt und gilt seither als nationaler Experte für Müßiggang.
Simon Hadler, ORF.at
Buchhinweis
Tom Hodgkinson: Anleitung zum Müßiggang. Rogner und Bernhard 2004, 376 Seiten, 15,90 Euro; bzw. Heyne, 9,20 Euro.
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