Weniger ist mehr

Ein Buch, das bei gestressten Eltern Verspannungen löst.
Erziehungsmethoden unterliegen Trends - und wer in den vergangenen Jahren entsprechende Elternratgeber in Händen gehalten hat, kennt die derzeitige Tendenz zur scheinbar pragmatischen Härte gegenüber dem Nachwuchs.

Plötzlich soll es wieder opportun sein, Babys schreien zu lassen, weil man sie durch Trösten nur unnötig verzärtelt. Talente sollen gefördert werden - was heißt, die Tagespläne von Volksschülern werden mit Kursen vollgekleistert. Und wenn Jugendliche nicht parieren - ab ins elterliche Trainingscamp. In TV-Shows wird es vorgemacht.

Pamphlet gegen die neue Elternschaft
Diese Entwicklung kennt auch Tom Hodgkinson - und lehnt sie zutiefst ab. Er ist selbst Vater von drei Kindern und Kolumnist des britischen "Daily Telegraph", wo er oft und gerne über Kindererziehung schreibt.

Nun fasste er seine Überlegungen zusammen und schrieb ein Pamphlet gegen die neue Schule der Elternschaft. Dieser liege das schädliche Bild vom Kind als zu bearbeitendem Rohmaterial zugrunde. Hodgkinsons "Leitfaden für faule Eltern" erschien dieser Tage auf Deutsch.

Kinder "in Ruhe lassen"
Seinen Ausführungen stellt der 41-jährige Brite ein Zitat von D. H. Lawrence voran: "Wie erziehe ich mein Kind? Regel Nummer eins: Lass es in Ruhe. Regel Nummer zwei: Lass es in Ruhe. Regel Nummer drei: Lass es in Ruhe. Für den Anfang ist das genug."

Was auf den nächsten 317 Seiten folgt, ist ein gut getarnter Appell dafür, seinen Kindern mehr Freiräume zu lassen, damit sie ihre eigene Kreativität und eine gefestigte Persönlichkeit entwickeln können. Den Kindern, so Hodgkinsons These, könne man mehr Verantwortung für die Gestaltung ihrer Freizeit überlassen.

Getarnt ist dieser Appell deshalb, weil Hodgkinson niemals einen weiteren Ratgeber schreiben würde, der auf konventionelle Weise langweilige Erziehungstipps gibt. Absichts- und genussvoll übertreibt er und provoziert an allen Ecken und Enden.

"Wir arbeiten so wenig wie möglich"
Kern des Buches ist ein "Manifest der faulen Elternschaft". Wenn es etwa heißt, "Faule Eltern sind kreative Eltern", dann meint Hodgkinson, dass ein rasch improvisiertes Spiel vom Liegestuhl im Garten aus oft mehr Spaß macht als ein durchorganisierter Ausflug in einen teuren Vergnügungspark. "Faule Eltern sind sparsame Eltern" schließt hier nahtlos an.

Sparsamkeit ist wichtig, denn: "Wir arbeiten beide so wenig wie möglich, vor allem, solange die Kinder noch klein sind." Daraus ergibt sich: "Wir verweigern uns dem grassierenden Konsumismus, der vom Augenblick ihrer Geburt an in das Leben unserer Kinder eindringt." Sprich: Ausflug in den nahen Wald und auf einer Wiese knotzen, während die Kinder spielen; und nur ja keine mobilen Spielecomputer kaufen.

"Wir trinken Alkohol ohne Schuldgefühle"
Bei alldem sollen die Eltern aber nicht in eine kleinkrämerische sparsame Tugendhaftigkeit verfallen - im Gegenteil. Dem Hedonismus soll gefrönt werden: "Wir trinken Alkohol ohne Schuldgefühle." Und: "Wir verweigern uns dem inneren Puritaner."

Insgesamt gilt: "Wir wehren uns gegen die Vorstellung, dass Elternschaft harte Arbeit bedeutet."

Der Teil mit dem Alkohol ist Hodgkinson-typische Polemik, die er in einem Land von Binge-trinkenden (also komasaufenden) Teenager-Eltern nicht ganz ernst meinen kann. Mit der wenigen Arbeit jedoch ist lediglich gemeint, dass eine elterngeleitete Rund-um-die-Uhr-Beschäftigung der Kinder diese zu sehr einengt und stresst.

Bei Eltern Verspannungen lösen
All das unterfüttert Hodgkinson, in der Theorie bewandert, mit zahlreichen literarischen und philosophischen Zitaten. Dennoch dominiert ein lässiger, pointierter Stil.

Viel berichtet der Autor vom angeblichen totalen Chaos in seiner eigenen Familie. Unumwunden gibt er zu, dass er zumindest in der Vergangenheit vieles in der Erziehung seiner Kinder falsch gemacht hat.

Das Buch ist nicht nur äußerst unterhaltsam (und dennoch lehrreich) geschrieben, es hat auch das Zeug dazu, bei Eltern, die immer alles richtig machen wollen, Verspannungen zu lösen.

Bestseller in Großbritannien
Hodgkinson ist kein neuer Propagandist der Faulheit. Schon Mitte der 90er Jahre gründete er die Zeitschrift "The Idler", auf gut Österreichisch "der Owezahra". Einer breiten Öffentlichkeit wurde der Journalist durch seine an Paul Lafargue anknüpfende Streitschrift "Anleitung zum Müßiggang".

Seine Bücher sind in Großbritannien Bestseller und werden auch international in Qualitätszeitungen hoch gelobt. Die Rezensentin des renommierten "New Statesman" kannte etwa kein Halten: Das Buch sei "lustig, originell, unorthodox, cool, nicht oberlehrerhaft, intellektuell - aber ohne eine ängstlich-defensive Grundhaltung" - und so weiter.

Hodkingson trug diese und ähnliche Rezensionen auf seiner "Idler"-Website zusammen. So viel Arbeit musste sein.

Buchtipp:

Tom Hodgkinson: Leitfaden für faule Eltern. Rogner und Bernhard, 316 Seiten, 19,90 Euro.

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