Die "Stunde der Erlösung"

Tirols Kampf gegen Besatzung und Fremdherrschaft, aber auch gegen die Moderne und die religiöse Toleranz.
Mit der ersten Entscheidungsschlacht am 12. April 1809 auf dem Bergisel hat ein Aufstand in Tirol begonnen, der gegen die bayrische Fremdherrschaft gerichtet war und erst Ende desselben Jahres niedergeschlagen wurde. Den Besatzern standen dabei keine kaiserlichen Truppen gegenüber, sondern bewaffnete Bauern unter ihrem Anführer Andreas Hofer, einem Wirt und Viehhändler aus dem Passeiertal, tief religiös aufseiten der katholischen Kirche und blind dem Hause Habsburg ergeben.

"Auf, Tyroler, auf! - Sie ist da, die Stunde eurer Erlösung!", hieß es in einem Aufruf Hofers unmittelbar vor der ersten Schlacht. Gekämpft wurde aber nicht nur gegen Bayern und Franzosen, sondern auch gegen die noch jungen Ideale der Aufklärung, gegen die Wiederbelebung der Reformen Josephs II. und sogar gegen Einführung der Pockenimpfung.

"Erlösung" wurde von Hofer und seinen Landsleuten offensichtlich nicht in der Befreiung von alten Werten verstanden, sondern im Festhalten an einer "unverrückbaren" Ordnung aus der frühen Neuzeit, in der die Tiroler ihre Identität tief verwurzelt sahen. Damit trägt der Befreiungskrieg von 1809 auch deutlich anti-modernistische Züge.

Der "heilige" Krieg
Nach der Niederlage Österreichs in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz und dem Frieden von Pressburg stand Tirol seit 1805 unter bayrischer Herrschaft, die eine Reihe von Reformen brachte, von denen viele vom heutigen Standpunkt aus zeitgemäß und geeignet waren, überkommene Strukturen zu ersetzen.

Vor allem die Eingriffe im kirchlichen Bereich stießen unter den Tirolern auf Unverständnis, etwa das Verbot der Christmette, die Abschaffung von Prozessionen und Wallfahrten und die Aufhebung bäuerlicher Feiertage wie das Herz-Jesu-Fest, das bis heute mit Gottesdiensten und Berfgeuern jährlich im ganzen Land begangen wird.

Mit der neu eingeführten Pockenimpfung wurde das Gerücht verbunden, den Leuten werde damit der Protestantismus eingeimpft. Ihr galt es, sich sogar mit Gewalt zu widersetzen. In Napoleon glaubten die Tiroler nicht zuletzt wegen der Gefangennahme des Papstes 1798 ohnehin den "Antichristen" vor sich zu haben. Solch ausgeprägte Volksfrömmigkeit erschien den Besatzern als "hinterwäldlerisch" und "unkultiviert".

Die Tiroler Sonderrolle
Das Fass zum Überlaufen brachten aber weniger die Kirchenreformen, sondern die Missachtung der alten Tiroler Wehrverfassung und die Einführung der allgemeinen Konskription. Das Landlibell Kaiser Maximilians I. von 1511 hatte den Wehrdienst auf die Landesverteidigung beschränkt, Tiroler konnten nicht außerhalb Tirols zu Kriegsdiensten herangezogen werden. Ungewöhnlich für die damalige Zeit war, dass selbst Bauern eine Waffe bei sich zu Hause haben durften.

Durch das Landlibell waren der Wehrwille der Bevölkerung und ihr Freiheitsbegriff bereits angelegt. Es hatte ihr Selbstbewusstsein gestärkt, die Unterschiede zwischen den Ständen nivelliert und schließlich in der Abwehr äußerer Feinde zu einer ausgeprägten Tiroler Identität geführt.

Die Zerschlagung der Landeseinheit
Ihrem Selbstverständnis nach hatten die Tiroler innerhalb der Habsburger Monarchie ein eigenes Land mit eigener Verfassung, sie betrachteten sich als "tirolische Nation". Die Tiroler Identität war damit eher eine politische denn eine ethnische - immerhin lebten im Land Deutsche, "Welsche" und Ladiner nebeneinander.

Unter den Bayern wurde die Landesverfassung annulliert, das Territorium in Inn-, Eisack- und Etschkreis dreigeteilt, die Verwendung der Bezeichnung Tirol verboten und das Stammschloss Tirol bei Meran verkauft. Das Land verlor damit seine identitätsstiftende innere Einheit, was patriotische Gemüter besonders erhitzte.

"Der Fehler des Zu-viel-Regierens"
Die bayrische Regierung lieferte ein Beispiel dafür, wie trotz allen reformerischen Eifers Aufklärung in Totalitarismus umschlagen kann. "Wo Österreich alle veralteten Formen beibehielt, reformierte Bayern zu viel und zu schnell. Wo Österreich zu wenig regierte, verfiel Bayern in den Fehler des Zu-viel-Regierens", brachte es Johann Christoph Freiherr von Aretin auf den Punkt.

Die wirtschaftliche Not und Sittlichkeit
Daneben war auch die prekäre wirtschaftliche Situation Tirols in bayrischer Zeit Auslöser des Aufstandes. So hatten die Bayern unter anderem eine Kopfsteuer eingeführt, welche die Stationierung ihrer Besatzungssoldaten finanzieren sollte, oder etwa den Handel zwischen Tirol und Bayern untersagt - mit katastrophalen Auswirkungen.

Gleich nach dem ersten Sieg auf dem Bergisel kam es denn auch zu Plünderungen, Gewalttaten und antisemitischen Ausschreitungen in Innsbruck. Hofer schritt ein, verbot auch gleich Bälle und Feste, die im Siegestaumel in der ganzen Stadt gefeiert wurden, und schreib per Erlass vor, "Frauenzimmer" sollten nicht mehr "ihre Brust und Armfleisch zu wenig und mit durchsichtigen Hadern bedecken".

Das Hofersche "Prinzip"
Das "Regierungsprinzip" Hofers und seiner Gleichgesinnten war es, die Verhältnisse vorbayrischer Zeit wiederherzustellen und keine wesentlichen Neuerungen einzuführen. Es ging ihnen um politische Sonderrechte, die sie ihren Herrschern in vergangenen Epochen mühsam abgerungen hatten.

Den Tiroler Freiheitskampf als Kampf zwischen Reaktionismus und Modernität, zwischen Fundamentalismus und Fortschritt zu verstehen, greift damit zu kurz. Die Motive für die Volkserhebung sind vielfältig und reichen vom "heiligen Krieg" über Patriotismus, Verteidigung von Privilegien und Standesehre bis hin zu Beutegier und bloß Abenteuerlust.

Sie lassen sich nicht auf einen einzigen ideologischen Nenner bringen - aber über das Schicksal Tirols entschieden ohnehin die Waffen auf fernen Kriegsschauplätzen.

Buchhinweise
Hans Heiss und Mauro Nequirito (Hrsg.): 1809 europäisch, europeo. StudienVerlag, 260 Seiten, 23,90 Euro.

Andreas Oberhofer: Weltbild eines "Helden". Universitätsverlag Wagner, 648 Seiten, 57 Euro.

Meinrad Pizzinini: Andreas Hofer. Tyrolia-Verlag, 372 Seiten, 39,95 Euro.

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