Erst seit der Romanik bekamen in der christlichen Kunst Kreuzigungsdarstellungen richtig Konjunktur. In der Spätantike und im frühen Mittelalter scheute man sich, Jesus in Verbindung mit der überlieferten Todesart darzustellen.
Kriegsgefangene und Landesverräter gekreuzigt
Erst im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung wurden Kreuzigungen abgeschafft - das Christentum war in dieser Zeit Staatsreligion in Rom.
"Arbor infelix" (Unglücksbaum) nannten die Römer die Kreuze, an die man zunächst vorwiegend Kriegsgefangene und Landesverräter band, um sie "den Elementen" oder einfach dem Verdursten zu überlassen. Wahrscheinlich aus dem persischen Raum hatte man diese Hinrichtungsmethode im Römischen Reich übernommen.
"... verflucht bei Gott"
Im Judentum sah man nicht die Kreuzigung, sondern die Steinigung als Hinrichtungsmethode vor. "Ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott", heißt es im 5. Buch Mose (Deuteronomium 21, 23).
Das Judentum übernahm das Aufhängen als einen fremden Brauch - man wandte es zunächst nur gegen Fremdherrscher ("Und Josua brannte Ai nieder ... und ließ den König von Ai an einen Baum hängen bis zum Abend", Jos. 8, 29) und im Fall extremer religiöser Vergehen an.
Zum Umgang mit einem "Gekreuzigten" hält das 5. Buch Mose fest: "Wenn jemand eine Sünde getan hat, die des Todes würdig ist, und wird getötet und man hängt ihn an ein Holz, so soll sein Leichnam nicht über Nacht an dem Holz bleiben, sondern du sollst ihn am selben Tage begraben." (Dtn. 21, 22) Das Land sollte durch den Aufgehängten nicht verunreinigt werden (Dtn. 21, 23).
Der Befehl des römischen Präfekten
Das Todesurteil gegen Jesus von Nazareth war nach übereinstimmenden Darstellungen im Neuen Testament ein Werk von Römern, das auf jüdische Initiative zustande kam. Der jüdische Hohe Rat durfte damals, da Judäa von den Römern besetzt war, zwar Todesurteile aussprechen, sie aber nicht exekutieren.
Den Hinrichtungsbefehl gab der damalige Präfekt von Judäa, Pontius Pilatus. Pilatus konnte laut den Evangelien keine Schuld bei Jesus finden, beugte sich aber dem Wunsch der Masse, ihn hinzurichten.
Dramaturgisch am weitesten ausgeführt findet sich die Geschichte bei Matthäus: "Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an seinem Blut; seht ihr zu!" (Mt. 27, 24)
Die Beschreibung im Johannes-Evangelium
Jesus wurde laut Johannes-Evangelium, das wiederum den Akt der Kreuzigung am ausführlichsten beschreibt, an einen "Stauros" gehängt. Im Altgriechischen kann damit ein Pfahl oder Mast, aber auch ein Kreuz gemeint sein.
Eine genaue Beschreibung der Kreuzform enthält das Neue Testament jedenfalls nicht.
Johannes führt aber sehr wohl wie die anderen Evangelisten an, dass über dem Gekreuzigten der "Titulus" (also eine Tafel mit dem Namen des Verurteilten und seinem Vergehen) angebracht wurde: "Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden." (Joh. 19, 19-20)
In den bildlichen Darstellungen wird man auf dem "Titulus" die Inschrift INRI lesen: "Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum" (Jesus von Nazareth, König der Juden).
Älteste Darstellung aus fünftem Jahrhundert
Als älteste bekannte Wiedergabe der Kreuzigung wird eine um 420 datierte Darstellung auf einem oberitalienischen Elfenbeinkästchen (British Museum, London) angesehen.
Ein Relief der Holztür der Kirche Santa Sabina in Rom, das ebenfalls aus dem fünften Jahrhundert stammt, zeigt Jesus in der Haltung des Gekreuzigten, jedoch ohne Kreuz, galt es doch damals als Schandmal.
Jesus als würdevoller König in Romanik
In der Gotik findet man auch die Seitenwunde Christi wiedergegeben, von der etwa Johannes berichtet: "Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht; sondern einer der Soldaten stieß mit dem Speer in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus." (Joh. 19, 33)
Mit der Gotik nimmt Jesus am Kreuz überhaupt erst leidende Züge an. Die Romanik präsentierte Christus noch als würdevollen König mit einer Krone auf dem Haupt. Auch das Lendentuch (Perizoma) Christi, das in der romanischen Kunst nur schemenhaft mit Längsfalten dargestellt wird, wird in der Gotik plastischer.
Darstellungen mit Begleitfiguren
Eine besondere Entwicklung nahm die Kreuzigungsdarstellung in Italien. Auslöser dafür ist die Verehrung des heiligen Franz von Assisi, der die Stigmata Christi empfangen hatte. Der Gekreuzigte wird unter dem Einfluss der Franziskaner auf große Holzkreuze gemalt.
Immer öfter kommen bei den Kreuzigungsdarstellungen Begleitfiguren, Heilige, Engel und sogar die Volksmenge ins Spiel. Neben der niedersinkenden Jesus-Mutter Maria ist meist auch Maria Magdalena präsent.
Neuer Realismus
In der deutschen und niederländischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts hält zunehmend der Realismus in der Darstellung Einzug. Derb werden die Feinde Christi gezeichnet, drastisch fällt wiederum das Leid des Gekreuzigten und seiner Angehörigen aus.
Die deutsche Reformation bringt nicht selten die Reformatoren mit ins Bild der Kreuzigung (wie überhaupt zunehmend weltliche Menschen und Auftraggeber der Kunstwerke am Kreuzesfuß zu finden sind).
Die Kunststile der Gegenreformation, Manierismus und Barock, wiederum stellen dramatische Kreuzigungsszenen in den Bildmittelpunkt. Neue Motive entstehen nicht mehr.