Dilemma im "Paradies"

Mayotte entspricht ganz dem Klischee des "Tropenparadieses" - für Fremde.
Französisch ist die Insel Mayotte im Indischen Ozean schon lange - nun will sie ganz in das Territorium Frankreichs und damit der EU integriert werden. 71.122 Wähler haben am Sonntag darüber entschieden, ob Mayotte ab 2011 als 101. Departement Frankreichs gelten darf. Überwältigende 95,2 Prozent stimmten dafür.

Noch hat die Insel den Status einer Gebietskörperschaft und gehört so - anders als etwa Frankreichs Überseedepartements Martinique und Guadeloupe - nicht zur EU.

An dem Volksentscheid beteiligten sich rund 60 Prozent der Wahlberechtigten. "Das ist ein historischer Moment für Mayotte und die Mayotter", ließ der französische Präsident Nicolas Sarkozy am Abend mitteilen.

Seepferdchen-Eiland
Frankreich kaufte die Insel zwischen Madagaskar und Mosambik im Jahr 1841. Im Jahr 1974 stimmten 64 Prozent der Bevölkerung gegen die Unabhängigkeit. Weitere Abstimmungen 1976 und 2000 bestätigten das Ergebnis. Vor neun Jahren wurde Mayotte Gebietskörperschaft.

Die Vulkaninsel, die das Seepferdchen im Wappen führt, ist mit 374 Quadratkilometern nicht einmal so groß wie Wien, mit bedeutend weniger Bevölkerung. Mit ihren Sandstränden und Korallenriffen entspricht sie dem Klischee des "Tropenparadieses".

Arm und reich zugleich
Für die Einheimischen ist Mayotte allerdings alles andere als paradiesisch. Es ist eine vergleichsweise arme Insel, die Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt bei einem Fünftel des EU-Schnitts - der Lebensstandard ist aber immer noch zehnmal so hoch wie bei den nicht-französischen Nachbarn.

Damit ist auch schon das Dilemma beschrieben, das Mayotte mit anderen französischen Überseegebieten teilt: Die Inseln hängen zwar am französischen Geldtropf, Frankreich hat sich jedoch kaum bemüht, sie auf ihre eigenen Füße zu stellen - gerade bei Mayotte etwa über Förderung des Tourismus.

Geld fließt an Einheimischen vorbei
Exemplarisch ist etwa, dass zu den größten Wirtschaftsfaktoren auf Mayotte ein paar verstreute französische Beamte und Fremdenlegionäre zählen, und das französische Geld somit zu einem Gutteil an der einheimischen Bevölkerung vorbeifließt.

Der Status als Gebietskörperschaft bringt es jedoch mit sich, dass Frankreich den Bewohnern von Mayotte zumindest zum Teil Sozialleistungen zukommen lassen muss, die für alle Franzosen gelten - durchaus auch im Eigeninteresse, da andernfalls der Reiz zur Emigration nach Frankreich noch mehr angekurbelt würde.

Täglich drei neue Waisenkinder
Das bringt den besagten Unterschied im Lebensstandard zu den Nachbarn. Mayotte ist schon jetzt Anziehungspunkt für Flüchtlinge und illegale Einwanderer. Auch schwangere Frauen versuchen häufig, auf die Insel zu gelangen, da ein auf Mayotte geborenes Kind automatisch die französische Staatsbürgerschaft bekommt.

Das Wohlstandsgefälle führt auch dazu, dass auf Mayotte täglich im Schnitt drei Babys ausgesetzt werden, weil die verzweifelten Eltern hoffen, dass sie ihren Kindern als "französische Waisen" eine bessere Zukunft ermöglichen können.

Höchstens eine Zweckehe
Zustände wie diese führen wiederum zum jetzigen Referendum: Mayotte soll als echtes Departement schrittweise auch von höherer Unterstützung des französischen Staates wie Sozialhilfe und Wohngeld profitieren und die Regionalhilfen der EU in Anspruch nehmen können.

Wirkliche Sympathien für Frankreich hegen indes wenige Bewohner von Mayotte. Die Angliederung an Frankreich bedeutet etwa, dass sie ihre eigene Gesetzgebung aufgeben müssen, die aus europäischer Sicht rückständig wirken mag, aber zu ihren Lebensumständen passt.

Ein Gefangenendilemma
Kritisiert wird das Bestreben der Insel außerdem vom Archipel der Komoren, einem föderalen Inselstaat, der von der afrikanischen Union (AU) unterstützt wird. Mayotte gehört geographisch zu den Komoren, weshalb die komorische Regierung die Herrschaft über Mayotte beansprucht.

Für die Bewohner von Mayotte bedeutete das Referendum damit nichts anderes als das sprichwörtliche "Gefangenendilemma": Wie auch immer sie sich entschieden hätten, sie handelten sich zusätzlich zu ihren alten Problemen auch noch neue Probleme ein.

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