Thomas Bernhards autobiografische Rückschau über einen Großteil der an ihn verliehenen Preise, die der Suhrkamp Verlag bald 30 Jahre nach Entstehen der Texte und 20 Jahre nach Bernhards Ableben nun unter dem Titel "Meine Preise" herausgebracht hat, darf nicht nur den Status eines Kleinods beanspruchen.
Die Bernhard-Fans und Buchsammler haben es quasi mit dem Erscheinen in den Rang eines Kultbuches gehoben. Die begehrte Erstausgabe mit den persönlichen bis gesellschaftlich bissigen Aufsätzen ist vergriffen, und nach Aussagen des Verlages ist auch die zweite Auflage schon weg, die dritte bereits in Druck.
Teure Bernhard-Devotionalien
Im Internet werden Bernhard-Erstausgaben generell teuer gehandelt, und wer noch einen Band mit der Unterschrift des zu Lebzeiten in Österreich oft attackierten Autors haben möchte, muss dafür durchaus 1.000 Euro und mehr in die Hand nehmen.
Bernhard, der viel über die Behandlung seines Werkes nach dem Tod nachgedacht (und rechtlich verfügt) hatte, hätte diese Form der Verehrung wohl verwundert. Er hätte sie vielleicht auch in Verbindung gesetzt mit seinen schriftstellerischen Anfangsjahren, wo ein Geldwert von 10.000 bis 15.000 Schilling in Form eines Vorschusses oder einer Auszeichnung existenzrettend sein konnte (etwa um eine Behandlung im Lungenkrankenhaus am Wiener Steinhof zu finanzieren).
Was bei Preisen zählt? Das Geld!
Bernhard gesteht in "Meine Preise" offen ein: An den Literaturauszeichnungen interessierte ihn die Geldsumme - die Urkunden der Preise seien ohnedies ausnahmslos geschmacklos gewesen, und die Preisverleiher wussten mitunter gar nicht, wem sie da eine Auszeichnung verliehen. Etwa in Regensburg, wo Bernhard zusammen mit der Schriftstellerin Elisabeth Borchers prämiert wurde und die Preise an "Frau Bernhard und Herrn Borchers" gingen.
Das Thema Literaturpreis und Thomas Bernhard ist durch die hochstilisierten Vorfälle um die Verleihung des Kleinen Staatspreises mit dem Wort Eklat besetzt - mehr dazu in "Bernhard und der Kleine Staatspreis". Doch nicht immer waren Preisauszeichnungen für Bernhard mit Demütigungen und Provokationen verbunden.
Persönliche Utopien
Mit beinahe sehnsüchtiger Erinnerung denkt der Autor an die Verleihung des Julius-Campes-Preises (1964) in der "schönsten aller Großstädte", Hamburg, zurück. Das Preisgeld zieht Bernhard, wie schon beim Literaturpreis der Freien und Hansestadt Bremen, zur Verwirklichung persönlicher Utopien heran.
In diesem Fall erwirbt er bei einem Nobelautohändler in der Wiener Innenstadt einen Triumph Herald: "Ich unterschrieb einen Vertrag und erlegte die Kaufsumme. Der ganze Julius-Campe-Preis war draufgegangen. Ein paar Stunden durchkreuzte ich die Innenstadt mit dem Jubel, ein Auto zu besitzen, das erste Auto in meinem Leben, und was für ein Auto! (...) In der Nacht war an Schlaf nicht zu denken, es war ein großartiges Gefühl, ein Auto zu besitzen, noch dazu ein englisches, weiß, mit roten Ledersitzen und mit einem hölzernen Armaturenbrett. Und alles für meinen Frost, dachte ich."
Im Feld der Übertreibung
Immer wieder konstruiert Bernhard in seinen Aufsätzen ein Gegensatzpaar. Hier der österreichische Wirklichkeitssinn, da der versponnene Möglichkeitssinn des Autors. Und stets wird dieser Gegensatz aus dem Blickwinkel der Übertreibung modelliert.
Die Rückschau auf den Erwerb seines Ohlsdorfer Bauernhofes bearbeitet Bernhard gleich mit den Mitteln des Romans: "Immer wieder hatte der Liegenschaftshändler außerordentliche Proportionen gesagt und je öfter er diese Feststellung machte, desto klarer war mir, dass er recht hatte, am Ende sagte nicht mehr er, das Objekt habe außerordentliche Proportionen, sondern ich sagte es und sagte es alle Augenblicke."
Das autobiografische Ich überblendet sich zunehmend mit der Haltung des Ich-Erzählers aus vielen seiner Prosatexte. Hier hat jemand kein intimes Tagebuch geführt, sondern durchaus an eine Veröffentlichung für das Spätwerk gedacht.
In der Kunstfalle
Bernhard beginnt viele Texte scheinbar persönlich, ja untermauert die Erzählung zur Verleihung des Preises mit sehr persönlichen Motiven, die man verstehen müsse, um dem weiteren Verlauf der Handlung folgen zu können.
Doch kaum hat man sich mit der persönlichen Seite des Autors vertraut gemacht, schnappt die Kunstfalle zu - und man wähnt sich mitten in Texten wie "Holzfällen" oder "Auslöschung".
Zudem liebt Bernhard die absurde Antiklimax: Während seine Tante rät, die Entscheidung für den viel zu teuren Bauernhof, für den der Literaturpreis der Stadt Bremen nicht einmal als Anzahlung reiche, doch gut zu überlegen, konstruiert der Autor ein anderes Argument für seine Entscheidung: Der Liegenschaftsverwalter habe knapp vor der Vertragsunterzeichnung eine "köstliche Eierspeis" gemacht.
"Glücklich wie noch nie"
Einen Bernhard, der "glücklich wie noch nie" ist, erlebt man in den Texten ebenso wie einen Jungautor, dem reichlich spät Anfängerfehler im Literaturbetrieb unterlaufen, etwa wenn er bei Sir Anthony einen zu engen Wollanzug für die Verleihung des rein symbolischen Grillparzer-Preises erwirbt.
Dennoch sollte man sich hüten, die Beschreibungen - in mehrfacher Hinsicht - zu persönlich zu nehmen. Bernhard schreibt jeden Text im Wissen um seine Rolle in der Öffentlichkeit. Mitunter, so meint man, entdeckt man einen Autor, der die öffentlichen Bilder seiner Person in ein neues Licht rücken möchte.
Bernhard zieht sich am Ende immer wieder ins sichere Feld der Stilisierung zurück. Und so wandelt auch hier, wie schon durch andere Texte, ein Ich, das sich nicht nur erklären möchte, sondern immer auch abrechnen muss: "Diese mittelgroßen Städte (...), Salzburg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, ich hasse sie alle, weil in ihnen jahrhundertelang der Stumpfsinn warmgestellt ist."
Gerald Heidegger, ORF.at
Buchhinweis
Thomas Bernhard: Meine Preise. Suhrkamp Verlag, 144 Seiten, 16.30 Euro.
Links:
- Suhrkamp
- Thomas Bernhard
- Thomas Bernhard als Autofahrer ("Datum", 2004)