Der seit Jahren teuerste und bedeutendste deutsche Gegenwartskünstler ist für seine abrupten Stiländerungen bekannt; er lasse sich vom "gesteuerten Zufall" leiten, sagt er.
Stiller Zuhörer
Richter präsentierte die Albertina-Retrospektive am Donnerstag der Presse - oder besser gesagt: Er war bei der Präsentation anwesend. Bei der Pressekonferenz zur ersten großen Richter-Schau in Österreich seit 20 Jahren saß der als scheu geltende Maler gewohnt zurückhaltend zwischen Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder und den beiden Kuratoren Götz Adriani und Barbara Steffen, die in blumigen Worten versuchten, das vielfältige Werk des 76-Jährigen zu erklären.
Schröder sprach von einem "eruptiven Lavastrom" der Farben in Richters abstrakten Arbeiten; der Maler hörte zu, was die Experten in der dritten Person über ihn zu sagen hatten, und schaute verschmitzt grinsend ins Publikum, die versammelte Wiener Kunst-, Kultur- und Medienschickeria.
Museen sind langweilig
Am Ende der Audienz durften die Besucher sogar rund fünf Fragen an den Meister richten, die dieser einsilbig, aber durchaus charmant-ironisch beantwortete.
Ob er sich angesichts seinen bevorstehenden 77. Geburtstags vorstellen könne, dass es einmal ein ausschließlich ihm gewidmetes Museum geben werde, wollte jemand wissen. Nein, sagte Richter, solche Projekte finde er inzwischen ein wenig langweilig: "Wir haben schon zu viele Museen." - Schröder: "Künstlermuseen, meinst du." - Richter: "Nein, überhaupt."
Ein "großes Geschenk"
Der in Köln lebende Künstler, der über Retrospektiven üblicherweise streng wacht, sagte, er empfinde es "als großes Geschenk, dass ich überhaupt nichts tun musste". In der Albertina habe er eine "fertige Ausstellung" vorgefunden.
Die Schau in Wien ist eine Kombination: Einerseits besteht sie zu einem großen Teil aus Gemälden, die unter dem Titel "Bilder aus privaten Sammlungen" schon im Museum Frieder Burda in Baden-Baden zu sehen waren. In Wien wurde diese Präsentation allerdings um Aquarelle und Zeichnungen ergänzt.
Erweiterung als Herzstück
Was wie eine Alibi-Erweiterung klingt, um erneut eine Blockbuster-Malereischau in der grafischen Sammlung zu rechtfertigen, entpuppt sich als der wahre Höhepunkt der Ausstellung.
Im ersten Raum sorgen noch bekannte fotorealistische Arbeiten aus den 60ern wie "Zwei Fiat" für leichte Zugänglichkeit. Gleich darauf folgt aber eine dicht gehängte Reihe von Monotypien aus dem Jahr 1957, als Richter noch in Dresden arbeitete. Es sind abstrakte Schwarz-Weiß-Silhouetten auf vergilbtem Papier, die an misslungene Fotokopien erinnern oder an chemische Experimente in der Dunkelkammer.
Rätselhafte Figuren
Personen und Landschaften lassen sich erahnen, und später in der Schau bietet "Canaletto", ein abstraktes und doch an Veduten erinnerndes Großformatgemälde aus dem Jahr 1980, einen Anknüpfungspunkt daran.
Überhaupt macht die kluge Abfolge von bekannten Richter-Gemälden - seinen größten Hits sozusagen - und kleinen Papierarbeiten diese Ausstellung spannend. Auf "Achtzehn Farben" (1966), eine auf 18 Tafeln aufgebrachte Farbpalette, folgt ein abgedunkelter Durchgang mit Wasserfarben auf Papier aus den 70ern, darauf wieder das poppige Ölbild "Gelbgrün" (1982).
Am Ende schließt sich der Kreis wieder mit beinahe kitschigen Landschafts- und Blumenbildern aus den letzten Jahren. Sie bieten Realismus a la Richter mit dem typischen Unschärfe-Effekt, der sich aus der Distanz des Betrachters zu den Bildern ergibt.
Gewohnt vielfältig
Dazu kommen übermalte Fotografien, abstrakte Farbflächen, die in ihrer Komposition entfernt an japanische Holzdrucke erinnern, und vor Buntheit explodierende Aquarelle.
Auch bei den unbekannteren Papierarbeiten bleibt also bestehen, was für Richters gesamtes Werk gilt: Er ist der große Meister des Heterogenen, und er spielt nach wie vor lustvoll mit diesen Widersprüchen.
Michael Höck, ORF.at
Ausstellungshinweis
"Gerhard Richter. Retrospektive", bis 3. Mai, Albertina Wien, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, mittwochs bis 21.00 Uhr. Ein zweibändiger Katalog (39 Euro) ist im Verlag Hatje Cantz erschienen.
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