"Der Schrecken kommt aus der Seele"

Poes Entwurf eines Menschenbildes stieß auf tiefe Ablehnung.
Edgar Allan Poe hat sein Werk den Abgründen der menschlichen Seele gewidmet. In seinen Kurzgeschichten, Gedichten und dem einzigen Roman entwarf der amerikanische Dichter ein Bild des Menschen, der alleine um des Bösen willen böse ist.

Poe wurde am 19. Jänner vor 200 Jahren geboren, in einer Epoche also, in der die Literatur erzieherisch wirken und dem Wahren und Schönen Vorschub leisten sollte. Zeit seines Lebens blieb ihm literarischer Ruhm deshalb versagt, auch wenn Leser in Zeitschriften seine Texte verschlangen.

Poes Obsessionen
Heute gilt Poe als Erfinder der Detektivgeschichte, als Wegbereiter des Horror- und Science-Fiction-Genres und zudem als einer der wenigen, die zu dieser Zeit massentaugliche Literatur schrieben, die dennoch tiefgründig und symbolbeladen auf eine "zivilisationsskeptische" ("Zeit") Philosophie verwies.

Poes Obsessionen des Schaurigen, des Todes, des Verbrechens und der Einsamkeit alleine in seiner Biografie begründet zu sehen liegt nahe, wird seinem Hang zum Anarchistischen, seiner kreativen Schöpfungswut gegen alle äußeren Widerstände und seiner satirischen Gesellschaftskritik aber nicht gerecht.

Das Sterben schöner Frauen
Wenngleich in Poes Werk viel auf seine tragische Lebensgeschichte verweist. Bereits ein Jahr nach seiner Geburt verließ der Vater die verarmte Familie.

Die Mutter litt an Schwindsucht und starb, als er zwei Jahre alt war. Es gilt als erwiesen, dass Poe den stundenlangen Todeskampf seiner Mutter miterlebte. 35 Jahre später starb seine junge Cousine und Ehefrau.

Wie die "Neue Zürcher Zeitung" ("NZZ") in ihrer Würdigung Poes herausarbeitet, stellt der Autor in einigen seiner berühmtesten Horrorgeschichten "geradezu litaneihaft" das Sterben schöner Frauen dar. Poe selbst schrieb in einem Essay: "Der Tod einer schönen Frau ist wahrlich das poetischste Thema der Welt."

Dem Schrecken Worte verliehen
Als Beispiel gilt "Berenice", eine von Poes bedeutendsten Erzählungen. Die biografischen Parallelen sind unübersehbar. Der Erzähler Egaeus heiratet seine Cousine Berenice - die schließlich infolge eines mysteriösen Anfalls stirbt.

Um ihren Tod inszeniert Poe ein Psychodrama mit übersinnlichen Elementen und einem Schockmoment als Pointe, das beispielhaft für sein Werk stehen kann.

Weil Egaeus obsessiv von Berenices Lächeln besessen war, öffnet er nach der Beerdigung das Grab und reißt ihr die Zähne aus. Am nächsten Tag findet er das Kästchen mit seiner Beute neben dem Bett - ohne sich erinnern zu können. Von einem Diener erfährt er, dass Berenice offenbar lebendig begraben worden war und nun ohne Zähne, immer noch am Leben, aufgefunden wurde.

Als Schauergeschichten abgetan
Poes Gewalttäter sind oft intelligent und gebildet, aber Getriebene, die scheinbar ohne Sinn, außerhalb der gesellschaftlichen Logik von Zweck und Nutzen, grausame Verwüstungen am menschlichen Leben anrichten.

Als ihm einmal vorgeworfen wurde, zu sehr in der Tradition des deutschen Schauerromans zu stehen, meinte er: "Wenn in vielen meiner Arbeiten der Schrecken das Thema ist, so behaupte ich, dass dieser Schrecken nicht aus Deutschland, sondern aus der Seele kommt."

Charles Baudelaire, einer der Wegbereiter der literarischen Moderne, gilt als postumer Entdecker Poes. Der französische Schriftsteller fühlte sich Poe seelenverwandt in dessen Menschenbild.

"Freiherrliche Bösewichte"
Die "Zeit" hat ein Zitat Baudelaires ausgegraben, das sowohl die amerikanische Verachtung für Poe als auch die spätere Begeisterung für ihn in Europa (Dostojewski etwa war ein Verehrer) auf den Punkt bringt:

"Welch erfreulicher Anblick, einige Explosionen alter Wahrheiten derart all diesen Liebedienern der Menschheit ins Gesicht platzen zu sehen, all diesen Wiegenschauklern und Hätschlern mit ihrem ewigen Eiapopeia in allen möglichen Tonarten: 'Ich bin als guter Mensch geboren, und ihr auch, und wir alle sind als gute Menschen geboren!' - und dabei vergessen diese albernen Gleichmacher - nein, sie stellen sich nur, als vergäßen sie, dass wir alle als freiherrliche Bösewichte zur Welt kommen!"

Der erste Detektiv
Den Bösewichten setzte Poe eine Figur gegenüber, die bis heute als prägend für die Kriminalliteratur gilt: den Detektiv. In seiner Erzählung "Der Doppelmord in der Rue Morgue" tritt mit dem Pariser Meisterdetektiv Auguste Dupin erstmals ein Ermittler als zentrale Figur auf.

Durch seinen scharfsinnigen Verstand kann Dupin einen Orang-Utan als Doppelmörder entlarven. Dupin taucht noch in zwei weiteren Geschichten auf. Doch auch in diesem Genre, das in den Vereinigten Staaten über ein Jahrhundert später den Buchmarkt dominieren sollte, konnte Poe nicht reüssieren.

Ein anti-amerikanisches Leben
Als anti-amerikanisch galt Poe neben seinem Schaffen auch aufgrund seiner Lebensweise. Nachdem sein Ziehvater ihn verstoßen hatte, brach er sein Studium mit einem Berg an Spielschulden ab. Zum Militär ging Poe unter falschem Namen, um seinen Gläubigern zu entkommen.

Poe würde in seinem Verhalten gegenüber Frauen heute wohl als "Macho" bezeichnet. Außerdem neigte er zur Trunksucht. Am 7. Oktover 1849 starb Poe in einem Krankenhaus in Baltimore, nachdem man ihn zuvor in völlig hilflosem Zustand auf der Straße gefunden hatte.

"Edgar Allan Poe ist tot. (...) Die Nachricht wird viele überraschen, aber nur bei wenigen Trauer hervorrufen", schrieb ausgerechnet sein eigener Nachlassverwalter Rufus W. Griswold am Tag der Beerdigung in der "New York Tribune".

"Der Untergang des Hauses Usher"
Erst die euphorische Aufnahme Poes in Frankreich und sein späterer Siegeszug in Deutschland ermöglichten auch in den USA einen neuen Blick auf das vielschichtige Werk des Schrifstellers.

Heute gilt Poe weltweit als einer der stilprägenden Autoren der amerikanischen Literaturgeschichte. Viele seiner zum Großteil in Zeitschriften erschienenen Kurzgeschichten und seiner Gedichte sind Pflichtlektüre für Generationen von Schülern.

Zu Poes bekanntesten Veröffentlichungen zählen die Short Storys "Der Untergang des Hauses Usher", "Der Doppelmord in der Rue Morgue" und "Berenice" sowie das Gedicht "Der Rabe".

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