Der höfliche Dichterwettstreit

"Dichter für Millionen" ist der Quotenrenner von Abu Dhabi TV.
Ein Lyrikwettbewerb im Fernsehen zur besten Sendezeit - das wäre hierzulande wohl nur schwer denkbar. Auf der Arabischen Halbinsel schalten dagegen derzeit bis zu 17 Millionen Menschen ein, um die Liveshow "Dichter für Millionen" ("Schair el Millijun") des Senders Abu Dhabi TV zu sehen. Die Show ist der absolute Quotenrenner am Golf, die dritte Staffel hat gerade begonnen. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Eine Mio. Euro Preisgeld
"Dichter für Millionen" funktioniert im Prinzip ähnlich wie "Starmania" und andere Formate, bei denen sich hoffnungsvolle Nachwuchskünstler dem Urteil einer Jury und des Publikums unterwerfen. Wer im Finale zum "Dichterprinzen" gewählt wird, geht mit einem Preisgeld von fünf Millionen Dirham (rund eine Mio. Euro) nach Hause.

Doch anders als bei den gängigen Musik-Castingshows, bei denen die hoffnungsfrohen Nachwuchssänger bekannte Hits anderer Künstler vortragen, deklamieren die arabischen Dichter nur ihre eigenen Verse.

Höflichkeit ist Trumpf
Bei der gerade ausgestrahlten ersten Sendung der neuen Staffel im El-Raha-Beach-Theater von Abu Dhabi stellten sich insgesamt acht Kandidaten dem Urteil einer Expertenjury.

Untergriffe und Seitenhiebe wie bei Roman Gregory und Dieter Bohlen waren dabei tabu. Nach dem Auftritt der ersten Kandidaten, Hakim el Mual aus Saudi-Arabien, lobten die Lyrikexperten die von ihm gewählten Metaphern in höflichen Worten: "Ich habe nur eine kleine Anmerkung, wenn Du erlaubst."

"Ja bitte, Gott möge Dein Leben verlängern", antwortete der Dichter - ein Tonfall, der sich durch die ganze Show zog. Das negativste Adjektiv, mit dem ein Gedicht von der Jury bedacht wurde, war "schwach".

Maximal "mittelmäßig"
Auch das Publikum - Männer und Frauen sitzen im Saal getrennt - darf bei "Schair el Millijun" per Abstimmungsknopf seine Meinung zu den Gedichten kundtun. Doch gemäß orientalischen Gepflogenheiten kommt auch von ihnen keine brutale Kritik. Das Publikum hat nur die Wahl zwischen den Kategorien "hervorragend", "gut" und "mittelmäßig".

Wer es in die nächste Runde schafft, lächelt und sagt "Al-Hamdulillah" ("Gott sei Dank"). Freudiges Gekreische und hysterische Umarmungen wie bei den westlichen Pendants gibt es hier nicht.

Emanzipation der Golf-Araber
Was "Dichter für Millionen" so erfolgreich macht, ist nicht die Bloßstellung untalentierter Künstler. Es ist auch nicht nur der spannende Auswahlprozess, an dem sich per Handy die Fernsehzuschauer in den arabischen Staaten beteiligen können. Die Sendung ist ein Zeichen für die Emanzipation der Golf-Araber.

Keine "ungebildeten Beduinen" mehr
Die traditionelle Nabati-Poesie der Beduinen und die Musik der Wüstenbewohner war für viele Intellektuelle in Kairo, Damaskus, Beirut und Bagdad lange Zeit drittklassig.

Vielerorts sah man herab auf die "ungebildeten Beduinen", die altmodische Kopfbedeckungen trugen, einen schroff klingenden Dialekt sprachen und ihre Traditionen früher oft nur mündlich weitergaben.

Herrscher von Dubai als Dichter
Das hat sich geändert, nicht nur wegen des Wohlstands der Golfstaaten durch die Ölförderung, sondern auch wegen zahlreicher neuer Universitäten, Museen und Theater.

"Die Nabati-Dichtung ist Ausdruck der natürlichen Kreativität der Bewohner der Golfregion und zeigt, wie sie mit dem Land verwurzelt sind", erklärt der Herrscher von Dubai, Scheich Mohammed bin Raschid Al Maktum, auf seiner Website.

Der Scheich ist heute selbst einer der bekanntesten Autoren von Nabati-Gedichten, in denen er aktuelles Weltgeschehen ebenso verarbeitet wie Siege seiner liebsten Fußballmannschaft und Themen wie Romantik und Trauer.

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