Die Party ist vorbei

Das "Weltjournal" zeigt die Schicksale von Familien, die auf Island die Staatspleite am eigenen Leib zu spüren bekommen
Island, Insel aus Feuer und Eis. Hier machen die Menschen einen finanziellen Alptraum durch. Die Finanzkrise hat alle eiskalt erwischt - quer durchs Land.

Island ist das erste Fallbeispiel, wie Pleitebanken einen reichen Staat über Nacht in den Bankrott reißen und das Leben von Menschen erschüttern.

Der Österreicher Markus Klinger lebt seit 20 Jahren in Island. Die Berge, das Meer und die optimistischen Menschen haben ihn nach eigenen Angaben dazu bewogen, auszuwandern. Der Optiker hat in Reykjavik ein Haus gekauft. Und mit Aktien sparte er auf einen Zubau. Nun wird daraus aber nichts.

Fremdwährungskredite als Problem
"Ich habe in Bankaktien von Glitnir, Kaupthing und Landsbanki investiert, von einem Tag auf den anderen war das ganze Geld verschwunden", sagt Klinger gegenüber dem ORF-"Weltjournal".

Zudem hat der Salzburger - wie 80 Prozent der Isländer - einen Fremdwährungskredit. Als die isländische Krone zu den stärksten Währungen der Welt zählte, waren Kredite in Schweizer Franken und Euro billig. Die abgewertete Krone macht den Kredit nun fast unfinanzierbar.

"Durch die Währungsabwertung hat sich der Kredit mehr als verdoppelt. Das heißt, meine Rückzahlung ist nun auch mehr als doppelt so hoch", erzählt er.

"Isländische Mentalität" mitschuldig an Krise?
Das Optikergeschäft läuft noch gut. Richtig teuer wird der Einkauf erst, wenn das Lager leer ist und er mit der abgewerteten Krone Brillen in Euro einkauft. Dann zahlt er mehr als doppelt so viel wie vor einem Jahr. Für Klinger hat die Finanzkrise mit der Mentalität der Isländer zu tun.

"Die Österreicher investieren zuerst und setzen dann die Ideen um", so Klinger. "Die Isländer machen es umgekehrt. Die haben eine Idee und schauen erst später, ob sie sich die Rückzahlung leisten können."

Zorn auf Gordon Brown
Doch der Zorn der Isländer richtet sich gegen Großbritanniens Premier Gordon Brown. Er hat isländische Gelder in London eingefroren, um die eigenen Sparer zu schützen, und damit die letzte große Bank Kaupthing zu Fall gebracht.

Klinger will trotz Krise in Reykjavik bleiben. Er hat einen Sohn, der hier die Volksschule besucht. Diese Generation wird noch für die Schulden der inzwischen verstaatlichten Banken zahlen.

Warnungen verhallten ungehört
Landsbanki, Glitnir und Kaupthing haben zehnmal mehr Schulden angehäuft, als Island pro Jahr erwirtschaftet. Dabei hatten Experten wie Wirtschaftsprofessor Gylfi Zoega den Kollaps schon vor zwei Jahren vorhergesagt. Niemand hörte damals auf ihn.

"Die ganze Welt hat an der Finanzparty teilgenommen, die Isländer waren dabei extrem und sind schnell reich geworden. Jeder war glücklich. Jetzt ist die Blase geplatzt, Firmen und Privatpersonen sind pleite. Alle sind schockiert. Dabei wollte in der Boomphase keiner auf meine warnende Stimme hören", schildert Zoega.

Die Macht der Clans
"Es gibt politische Clans, die noch regieren, und mächtige Finanzclans, die das Land verlassen haben. Der Druck war groß, mitzumachen und nur das zu sagen, was sie hören wollten", schildert Zoega die Hintergründe der Krise.

Der Geysir, das Nationalsymbol, verhalte sich wie die Wirtschaft, scherzen die Isländer. Zuerst entwickelt er sich explosionsartig, dann folgt der Rückzug, die Rezession.

Suche nach neuen Jobs
Mittlerweile versuchen Bankangestellte, neue Berufe und Existenzen zu finden. Manche wollen Reiseführer werden.

Doch auch in der Tourismusbranche begegnet einem die Finanzkrise wieder. Die Familie Haukslottir hat für ihr Hotel einen Fremdwährungskredit aufgenommen. Doch jetzt hat sich der Kredit von umgerechnet 200.000 auf eine halbe Million Euro mehr als verdoppelt.

Kurbelt schwache Krone Tourismus an?
Die Familie hofft auf mehr Gäste. So könnte sie von der schwachen Krone profitieren. "Wir merken, dass mehr Europäer Island-Urlaube buchen. Und sie geben viel mehr aus, weil der Krone-Wechselkurs so günstig ist", bemüht
Sigrun Lara Haukslottir ihren Optimismus.

Frieren wird die Familie trotz Finanzkrise nicht. Im Garten sprudelt die private Warmwasserquelle. Damit heizt der Hausherr 2.500 Quadratmeter Wohnfläche.

Zurück zum Fischfang
Szenenwechsel nach Isafjördur im Norden der Insel. Die Finanzkrise hat auch diese Fischerstadt - eine Flugstunde von Reykjavik entfernt - erfasst. Vom Boom in der Hauptstadt haben die Menschen hier nichts mitbekommen, von der Krise sehr wohl.

In Isjafjördur leben 5.000 Menschen den Großteil des Tages im Dämmerlicht. Die Sonne streift den Horizont nur vier Stunden. 250 Menschen arbeiten hier in der Fischfabrik. Die Fischerei ist der größte Exportzweig in Island. Nur vorübergehend war die Finanzbranche wichtiger - vor dem großen Crash.

Rückbesinnung auf die Wurzeln
Kristjan G. Joakimsson, Leiter der Fischfabrik, sieht die Lage so: "Die Menschen in Reykjavik haben geglaubt, dass man aus Geld Geld machen kann. Jetzt besinnen sie sich wieder darauf, dass die Fischerei die Basis unserer Wirtschaft ist."

Die Fische bringen dringend benötigte Devisen. Jeder zehnte Einwohner lebt vom Fischfang. Auch Vignar Arnarson. Er benutzt sein Auto nur noch selten. Sprit kostet umgerechnet 2,50 Euro pro Liter. "Letzte Woche habe ich ein Rad gekauft, das ist billiger", schildert er.

Beim Lebensmitteleinkauf traut Herr Arnarson seinen Augen nicht. Schon wieder ist alles teurer. Die Inflation liegt bei 15 Prozent. Die Verkäufer müssen ständig Preisschilder austauschen.

3.000 Schilder am Tag getauscht
"Das ist ein Wahnsinnsjob. Wir haben 5.000 Produkte - und an einem Tag musste ich bis zu 3.000 Schilder tauschen", erläutert der Lebensmittelhändler Ingolfur Hallgrimsson.

Der Österreicher Klinger meint, die Isländer versuchten, gelassen zu bleiben. "Ich habe Freunde, die sagen, wenn nun alle den Job verlieren, dann gehen wir eben wieder fischen", erzählt er.

Die Isländer wollen sich nun auf das besinnen, was sie am besten können: das Meer, die heißen Quellen nutzen, Pferde züchten und bescheiden leben wie einst die Großeltern.

Sonja Sagmeister, ORF Brüssel/Weltjournal

TV-Hinweis
Die ganze Reportage "Island in der Pleite" sehen Sie am Mittwoch um 22.30 Uhr in ORF2. Mehr dazu in tv.ORF.at.

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