In ungekünstelten, aber durchaus schönen und manchmal auch schmerzvollen Bildern erzählt Dresen in "Wolke 9" von der 60-jährigen Inge, die sich nach rund 30 Jahren Ehe in den 76-jährigen Karl verliebt und ihren Mann Werner verlässt.
Bilder einer alternden Gesellschaft
"Es hat mich angeödet, dass die Gesellschaft immer älter wird, es aber nicht die dazugehörigen Bilder gibt - Liebe und Sex hören ab einem bestimmten Alter scheinbar auf zu existieren", sagt Dresen. "Ich fand es daher wichtig, in Würde gealterte Körper zu zeigen." Außerdem sei es "eine tröstliche Nachricht, dass Menschen unabhängig vom Alter nicht aufhören zu lieben".
Mit "Wolke 9" beweist Dresen nach realitätsnahen Filmen wie "Halbe Treppe" einmal mehr sein Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen und Wendepunkte im Leben. Erneut nähert er sich seinen Figuren mit viel Respekt und Einfühlungsvermögen; gedreht wurde mit kleinem Team, auf Digitalvideo und mit starkem Fokus auf Improvisationen.
Mutige Schauspieler
Vor allem die Leistung der Schauspieler beeindruckt: Horst Rehberg (Werner), Horst Westphal (Karl) und allen voran Ursula Werner als Inge beweisen viel Mut, ihre Körper in den zahlreichen Sexszenen ohne Scham zu zeigen. Auch wenn - oder gerade weil - sie nicht Brad Pitt und Angelina Jolie sind, wirkt ihr Spiel erfrischend natürlich und unprätentiös.
"Die Liebe ist nicht kontrollierbar"
Der "Spiegel" ortet in dem Film eine "frohe Botschaft" für die alternde Gesellschaft: "Mag die Rente auch nicht sicher sein - auf die chaotische Kraft der Libido bleibt Verlass."
Dresen sieht das ähnlich: "Wir leben zwar in einer Welt, wo alle eine enorme Kontrollsucht haben, doch die Liebe ist nicht kontrollierbar - das Herz lässt sich nicht vom Kopf steuern."
Auch wenn die ersten Szenen ein wenig an den "Plot" eines Pornofilms erinnern mögen - Inge klingelt unangemeldet an Karls Wohnungstür, um ihm eine umgenähte Hose vorbeizubringen; dann geht's zur Sache -, "Wolke 9" ist nicht von vornherein darauf ausgelegt, spekulative Gelüste zu befriedigen.
In den Medien tabu
Es gehe trotz der Bettszenen "nicht vordergründig um Sex, sondern die Urgewalt der Liebe", so Dresen. "Es war einfach an der Zeit, eine Liebesgeschichte zwischen älteren Menschen zu erzählen, weil das bisher in den Medien fast nicht vorkommt."
Auch für die Gesellschaft sei das Thema tabu. "Man gesteht es ja schon den eigenen Eltern nicht zu, sondern findet den Gedanken an Sex bei ihnen abstoßend." Außerdem habe er die nackten Körper "normaler" Senioren und nicht wie in der Werbung nur die von "ausgesucht schönen Alten" zeigen wollen.
"Herzschlag" in Cannes
Bei den Filmfestspielen von Cannes, wo "Wolke 9" in der Nebenreihe Un certain regard Premiere feierte, wurde Dresen mit einem "Sympathiepreis", der außerordentlichen Jury-Auszeichnung "Coup de Coeur" (Herzschlag), bedacht.
Die European Film Academy hat Dresen außerdem für den Europäische Filmpreis als bester Regisseur nominiert. Die Auszeichnung wird am 6. Dezember in Kopenhagen vergeben.
TV-Hinweis
Anlässlich des Filmstarts von "Wolke 9" widmet sich auch "Stöckl am Samstag" um 16.00 Uhr in ORF2 dem Thema Liebe und Sex im Alter - mehr dazu in tv.ORF.at.
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